Donnerstag, 9. November 2017

Am Ende wurde doch noch alles gut

Walter ließ seine Faust auf den Küchentisch fallen und lachte hämisch auf: „Hör mal eben zu, Lilly, was hier in der Zeitung steht.“
Lilly war nicht sehr begeistert und verdrehte heimlich die Augen im Kopf. Seitdem Walter Rentner war, hatte er die Marotte, ihr ständig etwas aus der Zeitung vorzulesen. Dabei hatte sie längst selbst gelesen, was sie interessierte. Doch ihr Mann ließ sich nicht davon abbringen und las ihr das Folgende vor:
“Zur Feier seines 30. Geburtstages hatte ein Brite eine Grillparty auf einer Wiese organisiert und das per Facebook angekündigt. Die Polizei befürchtete offenbar eine nicht genehmigte Massenver-anstaltung und rückte mit gepanzerter Mannschaft und Hubschraubern an – während 15 Menschen Burger grillten“.
Walter schüttelte darüber den Kopf und frotzelte: „Wenn es die Beamten nicht gäbe – man müsste sie glatt erfinden!“
„Da hat der Amtsschimmel wirklich laut gewiehert“, warf Lilly ein.
„Das kannste wohl sagen“, bestätigte Walter den Kommentar seiner Frau „und weißt du was, der Steuerzahler muss sich gar nicht mit Pferden auskennen, um diesen Schimmel wiehern zu hören.“
Lilly grübelte über den Zeitungsbericht nach. „Überleg mal, was dass bedeutet“, forderte sie ihren Ehemann auf „dann müssen doch mehrere Beamte dafür zuständig sein, das Internet zu durchforsten, denn das war doch bestimmt ein Polizeibeamter, der das auf Facebook gelesen und dann diesen Großalarm ausgelöst hat.“
„Ja, mein Reden“, erwiderte Walter „wir werden stets und ständig überwacht. Und dieses Facebook ist sowieso großer Mist. Da erzählt der eine, wann er das letzte Mal auf dem Klo war und der andere, wie groß der Busen seiner Freundin ist.“
„Walter, nun hör aber auf. So schlimm wird es doch wohl nicht sein“, herrschte Lilly ihren Mann an.
„Nicht so schlimm? Dann guck dir das einmal an. Es gibt nichts Persönliches, dass die jungen Leute dort nicht veröffentlichen. Das finde ich nicht in Ordnung“, äußerte Walter große Bedenken gegen dieses Forum.
„Du magst ja Recht haben, aber so ist es nun mal. Darin müssen wir uns schicken. Unsere Enkel sind dort bestimmt auch angemeldet. Wenn man sich heute dazugehörig fühlen will, dann kommt man gar nicht daran vorbei“, gab Lilly zu bedenken. „Mag sein“, brummelte Walter „doch großer Quatsch ist es trotzdem, was dort verbreitet wird.“
Walter wusste oft nichts mit sich und seiner neu gewonnenen freien Zeit anzufangen. Er musste sich und sein Rentnerleben zuerst einmal neu organisieren. Das war auch für Lilly nicht ganz einfach. Ständig nahm er ihr Dinge aus der Hand, um sie zu erledigen. Er meinte es ja gut, doch Lilly ging dies manchmal auf die Nerven.
Oft dachte sie sich deshalb irgendwelche Aktivitäten aus. Häufig machten sie eine Radtour. Das hatte außerdem den Nebeneffekt, dass sie nicht einrosteten. Doch heute regnete es und so kam eine Radtour nicht in Frage. Lilly überlegte, was man tun könne, damit keine Langeweile aufkäme.
„Walter, was meinst du, wollen wir heute Nachmittag in die Sauna gehen und anschließend ein paar Runden schwimmen?“, fragte sie ihren Mann.
„Schwimmen ja, aber schwitzen will ich heute nicht“, ließ er seine Frau wissen.
„Auch gut. Dann gehen wir nur zum Schwimmen. Wollen wir Hans und Adele fragen, ob sie mitkommen?“, fragte Lilly.
Hans und Adele waren ihre Nachbarn, mit denen sie seit vielen Jahren eine Freundschaft verband. Oftmals unternahmen die Vier etwas gemeinsam. „Dann geh ich mal eben rüber und frag“, schlug Walter vor. „Aber verquatsch dich nicht wieder mit Hans“, gab Lilly ihrem Mann mit auf den Weg. „Wir wollen gleich zu Mittag essen.“
Schon hörte sie die Tür ins Schloss fallen.
Nachdem Walter die Klingel betätigt hatte, öffnete Hans die Tür. „Walter, komm rein. Du, das passt gut, dass du kommst. Ich wollte nämlich etwas mit dir besprechen, was Adele gar nicht hören soll. Und die ist gerade nicht da.“ Eine kurze Zeit später saßen die Beiden mit einer Flasche Pils am Küchentisch.
„Weißt du“, erzählte Hans „wir feiern doch bald unseren 40. Hochzeitstag und da wollte ich Adele überraschen. Ich weiß nur noch nicht so richtig, womit. Hast du vielleicht eine Idee?“
„Da fragst du genau den Richtigen“, entgegnete Walter amüsiert. „Meistens gefällt meiner Lilly nämlich nicht, was ich mir für sie einfallen lasse. Zum letzten Weihnachtsfest hatte ich ihr eine Kette geschenkt und was macht sie?“ Walter ließ die Frage im Raum stehen und Hans antwortete „Kenn ich. Sie hat sie umgetauscht!“
Walter machte eine ausladende Handbewegung und bestätigte damit die Vermutung von Hans.
„Ne, an so was hatte ich auch gar nicht gedacht“, meinte Hans dann. „Eher an so etwas, wie ein Wellnesswochenende oder so.“
„Ach, dass schenkt doch heutzutage jeder, dass ist doch gar nichts Besonderes mehr“, meinte Walter zu wissen und forderte seinen Nachbarn auf, doch einmal ganz genau zu überlegen, was sich seine Frau schon lange wünschen würde.
Zwei Flaschen Bier später kam der Geistesblitz. „Sie möchte sich eine Operette ansehen“, rief Hans. Sie hat letztens vor einem Plakat gestanden, auf dem zu lesen war, dass die Operette ‚Im weißen Rössl am Wolfgangsee’ im Engelssaal aufgeführt wird. Ich glaube, dass wäre genau ihr Geschmack.“
Hans war ganz aus dem Häuschen über seinen Einfall. In Nullkommanichts holte er seinen Laptop hervor und kurz darauf nannte er zwei Eintrittskarten sein Eigen.
Einige Wochen später beim Frühstück fragte Lilly ihren Walter: “Heute haben Hans und Adele Hochzeitstag. Was meinst du, wollen wir nachher einen Blumenstrauß besorgen und dann zu ihnen gehen und gratulieren?“
„Auf jeden Fall“, bestätigte Walter „das machen wir.“
Als sie anschließend bei den Nachbarn im Wohnzimmer saßen und ein Glas Sekt tranken, fragte Lilly ganz unbedarft: „Und, Adele, was hat sich dein Hans als Überraschung für dich ausgedacht?“

Adele antwortete nicht, sondern hielt ihr die Eintrittskarten zur Operette hin, woraufhin Lilly einen Lachanfall bekam.
„Aber hast du nicht neulich vor dem Plakat gestanden und gesagt, dass dies überhaupt nicht deine Musik sei?“
„Ja, genau. Das hab ich gesagt“, entgegnete Adele. „Nur mein lieber Mann hat wieder einmal nicht zugehört. Ich hätte mich so über ein Wellnesswochenende gefreut. Stattdessen krieg ich diese blöden Eintrittskarten“.
„Weißt du was“, schoss Hans verärgert zurück, „Lilly und du – ihr könnt von mir aus ein Wellnesswochenende machen und Walter und ich, wir gehen in die Operette.“
Da Walter nicht ganz unschuldig an diesem Dilemma war, sagte er darauf nichts und fügte sich in sein Schicksal. Die Frauen allerdings frohlockten.
Ein paar Tage später packten diese gut gelaunt ihre Koffer und freuten sich auf ein Wochenende ohne Männer in einem piekfeinen Hotel - und die Männer? Die verkauften heimlich die Eintrittskarten zur Operette und tauschten sie gegen Tickets für ein Fußballspiel.

Und so kam es, dass am Ende doch noch alles gut wurde!



© Martina Pfannenschmidt, 2014