Betrachten wir ein Buch.
Schon der Einband kann sehr
ansprechend sein.
Wir schlagen es auf –
lesen die ersten Seiten.
Was erwartet uns?
Werden wir fasziniert sein
von dem Leben,
das uns dort beschrieben
wird?
Wird uns eine langweilige
oder ergreifende Geschichte erwarten?
Wir werden mit dem
Romanhelden um seine große Liebe wetteifern
oder mit ihm in den Krieg
ziehen.
Wir leiden und lachen mit
ihm, wir erleben sein Leben.
Wenn es ‚gut’ ist, das
Buch, in dem wir lesen,
ist es egal, ob es 300
oder 500 Seiten umfasst.
Schon vorbei? Schade!
Ein Buch – geschrieben von
einem Menschen,
der die Geschicke eines
anderen mit seiner Feder führt.
Er entscheidet, was geschieht.
Die Romanfigur ist dem Autor
ausgeliefert.
Kann nichts tun – sich
nicht wehren.
Und wir?
Sind wir auch nur eine
willenlose Romanfigur
im Buch unseres Lebens?
Lassen wir andere unsere
Lebensgeschichte schreiben?
Sind wir wie die
Romanfigur einem anderen ausgeliefert?
Vielleicht Gott? Sind wir
Gott ausgeliefert?
Schreibt er das Buch
unseres Lebens
ohne dass wir ein Wörtchen
dabei mitreden können?
Entscheidet er über unser
Leben?
Ist es egal, was wir tun,
ist er der Lenker – der Autor?
Liegt unser Schicksal in
seiner Hand,
wie das Leben einer
Romanfigur
in der Hand des
Schriftstellers liegt?
Wir können ein oder 1000
Bücher lesen,
wenn wir nicht begreifen,
dass wir am Buch unseres
eigenen Lebens mitschreiben,
werden wir nur die Leser
anderer Leben bleiben
und das eigene verpassen.
Wenn das letzte Kapitel
unseres Buches geschrieben wurde,
ist es egal, ob es 300
oder 500 Seiten umfasste.
War es erfüllt, das Leben?
Schade! Schon vorbei!
© Martina Pfannenschmidt,
2015