Paula
schlich vorsichtig über den Flur Richtung Gästezimmer, in dem ihre Oma
übernachtete. Schon vor der Tür hörte sie ihr lautes schnarchen. Wenn Oma so
lange ratzte, lag der Verdacht nahe,
dass sie am Abend eine Schlaftablette
genommen hatte. Bestimmt hatte sie wegen des Lärms der nahe gelegenen Straße
nicht einschlafen können. Vorsichtig öffnete Paula die Tür. Richtig: Die
Packung lag neben Oma auf dem Nachttisch.
Nachdem
Paula die Tür leise wieder geschlossen hatte, schlich sie zurück Richtung
Küche. Sie nahm einen kleinen Zettel und schrieb: ‚Omilein, ich bin unterwegs
und hole uns frische Brötchen. Der Kaffee steht bereits fertig in der Thermoskanne.
Falls du wach werden solltest, bevor ich zurück bin, könntest du uns vielleicht
schon Eier kochen.’ Dann malte sie noch einen Smiley und setzte ihren Namen
darunter.
Als
Paula die Treppe herunter lief, traf sie auf Jan, den netten Jungen aus dem Parterre.
Er hatte Schlittschuhe dabei.
„Guten
Morgen!“, rief Paula ihm vergnügt zu. „Pass nur auf, dass du nicht auf die Nase
fällst oder dir den Arm brichst, so
wie es mir als Kind passiert ist.“
„Ne,
wird nicht vorkommen“, antwortete dieser selbstbewusst.
Die
Schlange beim Bäcker war recht lang und Paula trippelte ungeduldig von einem
Bein auf das andere. Geduld zählte nicht gerade ihren Stärken. Doch dank der
versierten Bedienung ging es schließlich doch schneller als gedacht.
Als
Paula kurz darauf ihre Wohnung betrat, stand Oma bereits am Herd.
„Guten
Morgen, Omilein! Ausgeschlafen?“
„Eher
abgebrochen, mein Kind“, erwiderte Oma. „Ich kann so schlecht schlafen bei dir,
weil ich diesen Krach einfach nicht gewöhnt bin. Aber nach einem guten
Frühstück und zwei Tassen Kaffee bin ich bestimmt wieder fit und ganz die
Alte.“
„Das
hoffe ich doch sehr. Schließlich bist du hier, um mit mir mein Brautkleid
auszusuchen.“ Bei diesen Worten zog ein Strahlen über Paulas Gesicht, das Oma
natürlich nicht verborgen blieb.
„Ach,
ich freue mich so für dich. Mit Henrik hast du wirklich den richtigen Mann für
dich gefunden. Ihr scheint ebenso füreinander bestimmt zu sein, wie es Opa und
ich sind.“
Paula
stellte sich hinter ihre Oma und umschlang sie mit ihren Armen.
„Omi!“
„Ja!“
„Manchmal
denke ich, dass ich soviel Glück gar nicht verdient habe und dann habe ich
Angst, dass etwas Schlimmes geschieht, so wie damals, als Mama und Papa bei dem
Unfall verunglückten. Omi, wenn du und Opa nicht immer für mich da gewesen
wärt, weiß ich nicht, wie ich das hätte schaffen sollen.“
„Es
war eine schwere Zeit. Wir haben alle sehr um deine Eltern getrauert, doch da
war ja dieses kleine Mädchen, das so unendlich traurig war und das beschützt
werden wollte. Deshalb haben Opa und ich alles versucht, dass du trotz allem
ein glückliches Kind sein konntest und das bedeutete, dass wir unsere eigene
Trauer dir gegenüber nicht gezeigt haben. Es war nicht ganz einfach, aber wir
haben es geschafft.“
„Ja,
ihr habt es geschafft“, wiederholte Paula. „Ich war und bin ein glücklicher
Mensch und das habe ich euch zu verdanken.“
„Aber
nun wollen wir nicht sentimental werden“, meinte Oma, die bemerkte, wie die
Tränen in ihre Augen steigen wollten, „sondern wir wollen uns etwas Schönem
zuwenden und später in die Stadt fahren, um nach Brautkleidern Ausschau zu
halten.“
„Aber
jetzt frühstücken wir erst einmal“, meinte Paula und drückte ihrer Oma einen
dicken Kuss auf die Wange, bevor sie sich auf ihren Platz schwang.
„Omi,
erzähl doch mal, wie war das denn damals bei dir, als du jung warst und ihr
heiraten wolltet.“
Oma
lächelte: „Na, eins ist klar, hätten Opa und ich bereits ohne Trauschein
zusammen gelebt, so wie es heute allerorten üblich ist, hätten meine Eltern mich
enterbt.“ Allein die Vorstellung genügte, dass Oma laut lachte. „Weißt du, wenn
wir uns getroffen haben, zumindest ganz zu Anfang unserer Partnerschaft,
geschah das immer heimlich. Ich hab zum Beispiel erzählt, dass ich etwas mit
einer Freundin unternehme. Aber einmal bin ich aufgefallen. Puh, das gab Ärger.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass unsere Nachbarin auch ins Kino gehen und eine
Reihe hinter uns sitzen würde. Natürlich hatte die liebe Tante Martha nichts
Besseres zu tun, als meiner Mutter sofort zu petzen, dass ich mit einem Jungen
im Kino war und wir Händchen gehalten haben.“
Jetzt
lachte Paula. „Ich dachte, du hättest wenigstens mit Opa geknutscht!“
„Ach
du liebe Zeit“, entgegnete Oma entrüstet, „ich glaube, die einfältige Tante Martha hätte mitten im Kino einen Herzanfall
erlitten. Weißt du, Paula, damals war man noch nicht so schnell, sich näher zu
kommen, wie es heutzutage der Fall ist. Mit dem ersten Kuss ließ man sich Zeit
und in jedem Fall musste er vom Mann ausgehen.“
Paula
lächelte. Sie wusste, wie sehr sich ihre Großeltern immer noch liebten und wenn
sie sich heute hin und wieder einen Kuss gaben, ging Paula das Herz auf.
Hoffentlich hielt ihre eigene Ehe auch so lange, wie die von Oma und Opa. Das
wünschte sie sich in diesem Moment von ganzem Herzen.
„Aber
nun wollen wir mal wieder von dir und der bevorstehenden Hochzeit reden“,
meinte Oma. „Wie soll er denn ausschauen, dein Traum in Weiß?“
„Oh,
Omilein, mein Brautkleid soll einfach bezaubernd sein, romantisch mit einer
figurbetonten Silhouette. Das Dekolleté muss einzigartig sein. Das Kleid darf
auch gerne einen offenen Rücken haben. Weißt du, es soll verführerisch sein und
gleichzeitig verspielt mit viel Spitze und raffinierten Details. Ich glaube,
ich weiß es sofort, wenn ich es sehe, ob es DAS Kleid ist, nach dem ich suche.“
„Dann
lass uns keine Zeit verlieren. Ich glaube, deinen Traum zu finden, wird nicht
ganz so einfach sein.“
Als
Paula einige Stunden später in ihrem Traumkleid vor Oma stand, wurde dieser
ganz melancholisch zumute. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie diesen Moment
mit ihrer Tochter hätte teilen dürfen.
©
Martina Pfannenschmidt, 2016