Freitag, 10. November 2017

Ein unerfüllbarer Wunsch?

Laura saß auf ihrem gemütlichen Sofa und strickte an einem Paar Wollsocken für sich. Sie litt ständig unter kalten Füßen, da kamen ihr gestrickte Socken gerade recht.
Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Hochzeitstag, den sie und Oliver in dieser Woche feiern durften. Das verflixte 7. Ehejahr lag vor ihnen, doch das machte Laura keine Angst. Sie waren immer noch sehr glücklich. Abrupt sprang sie auf, denn ihr schoss etwas durch den Kopf. Sie würde schon einmal den Teig ansetzen, um ihrem Schatz Kekse zu backen. Die, die er so gerne mochte, mit Mandeln darin und viel Schokolade oben drauf. Sie wollte sie diesmal zu kleinen Herzen formen und sie ihm heimlich am Hochzeitstag in seine Arbeitstasche schmuggeln. Darüber würde er sich sicher freuen.
Gerade in dem Moment, als sie den Teig zum Ruhen in den Kühlschrank legte, betrat ihr Herzallerliebster den Raum.
„Hallo, mein Schatz, hattest du einen anstrengenden Tag?“, begrüßte sie ihn.
„Wenn ich ehrlich bin, ja. Und er ist noch nicht zu Ende. Bitte sei nicht böse, aber ich musste mir noch ein paar Akten mit nach Hause nehmen. Was gibt’s denn zu Essen?“
„Ich dachte …“, schnell schluckte Laura herunter, dass sie dachte, sie könnten gemütlich essen gehen. Sie sah Oliver an, dass ihm nicht der Sinn danach stand. Deshalb sagte sie schnell: „Ich dachte, ich hole uns gleich etwas bei ‚Luigi’. Ist das okay?“
„Ja, ist okay“, sagte er nur kurz und verschwand in seinem Arbeitszimmer.
Oliver arbeitete zu viel. Sie hätte sich gewünscht, dass er mehr Zeit für sie haben würde. Aber man konnte wohl nicht alles haben. Zumindest behauptete ihre Freundin Susi das. Laura war ja glücklich. Eigentlich! Dieses kleine Wörtchen machte jedoch den Unterschied, denn da gab es noch etwas, was sie sich wünschte: Ein Kind! Es war nicht so, dass Oliver nicht auch von einer ‚richtigen’ Familie sprach, doch es bedeutete ihm nicht so viel, wie ihr.
„Wir haben doch ein schönes Leben“, hatte er ihr einmal gesagt, als sie ihn drängen wollte, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ob es vielleicht an ihm liegen könnte, dass sich bisher noch kein Nachwuchs eingestellt hatte. Doch das kam für Oliver nicht in Betracht. Sie selbst war schon mehrfach beim Arzt gewesen, der ihr immer wieder bestätigt hatte, dass organisch alles in Ordnung sei. Das würde dann im Umkehrschluss bedeuten, dass es vielleicht seelische Gründe gab, die eine Schwangerschaft verhinderten. Susi vermutete, Laura würde sich zu viel Druck machen.
„Kinder kommen dann, wenn sie es für richtig halten“, hatte sie gesagt. Susi und Sven hatten auch keine Kinder, dass machte es Laura im Moment noch etwas leichter, mit der Kinderlosigkeit klar zu kommen. Die beiden waren ihr insofern ein Vorbild, als dass sie sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen ließen. „Wir sind doch noch jung“, hatte Susi gesagt. „Lasst uns doch diese Zeit genießen. Wenn erst Kinder da sind, dann ändert sich so viel. Im Moment genieße ich noch die Freiheiten, die man ohne Kinder hat“. Doch so dachte Laura nicht. Jedes Mal, wenn ihre Regel bevor stand, betete sie inständig, sie möge sich nicht einstellen. Doch dann kam sie doch und mit ihr eine große Traurigkeit, die sie Oliver gegenüber aber nicht zeigen wollte. Zweimal schon hatte sie heimlich einen Schwangerschaftstest gekauft und durchgeführt, nur weil sich ihre Regel zwei Tage zu spät einstellte. Sie wusste natürlich auch, dass es für einen Test da noch viel zu früh gewesen war, doch sie konnte es einfach nicht erwarten, das magische Wort ‚schwanger’ darauf zu lesen.
Lauras Handy klingelte. Es war Susi, die nachfragte, ob sie kurz auf einen Besuch hereinschneien dürfte. Fünf Minuten später stand sie bereits vor der Tür.
„Nanu, du bist ja schneller, als die Polizei erlaubt“, scherzte Laura.
„Ich war gerade in der Nähe“, stellte Susi klar, „da dachte ich, ich schau mal herein und verkünde euch die große Neuigkeit.“ Während sich Susi suchend nach Oliver umsah, war es Laura, als habe ihr die Freundin mit der Faust in den Bauch geschlagen, denn sie ahnte, mit welcher Nachricht Susi zu ihnen kam.
„Wo ist denn Oliver?“, fragte sie kurz.
„In seinem Arbeitszimmer“, antwortete Laura eben so knapp und fügte die Frage an: „Was gibt es denn Neues?“
„Stell dir vor, meine Liebe!“ … Lauras Herz klopfte so laut, dass sie dachte, es würde herausspringen. „Sven hat gestern einen Hund aus dem Tierheim mit nach Hause geschleppt. Und ich hatte ihm noch gesagt, dass uns so ein Hund nur einschränkt in unserer Freiheit. Aber jetzt, wo er da ist, muss ich sagen, er würde mir fehlen, wenn ich ihn wieder weggeben müsste. Ich wollte auch eigentlich nur wissen, ob ihr ihn euch ansehen möchtet? Dann kommt doch später noch kurz zu uns.“
Es war ein dicker Felsbrocken, der Laura vom Herz fiel. Wie hätte sie sich verhalten, wenn Susi von einer Schwangerschaft erzählt hätte? Wäre es ihr gelungen, sich mit ihr und Sven zu freuen? Sie konnte und wollte nicht weiter darüber nachdenken. Da Oliver an dem Abend keine Zeit mehr fand, verlegten sie den Besuch auf das kommende Wochenende.
Einige Wochen später saß Laura im Park und beobachtete die Mütter mit ihren Kindern. In ihrer Handtasche befand sich wieder einmal ein Schwangerschaftstest. Diesmal war sie schon eine Woche über der Zeit. Sie wusste noch nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Im Moment war es noch unglaublich schmerzhaft, die Mütter mit ihren Kindern zu beobachten. Dort, der kleine Junge, der von seiner Mami getröstet wurde. Daneben das Mädchen mit den blonden Locken, die lustig hüpften, als es mit Anlauf in den Sandkasten sprang. Wie ihr Kind wohl aussehen würde? Eine junge Frau, die einen Kinderwagen schob, setzte sich neben Laura auf die Bank.
Argwöhnisch schaute sie in den Kinderwagen. Das Kind lag dort und spielte mit seiner Rassel. Dann drehte es das Köpfchen und schaute Laura direkt an. Sein Lächeln bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz, so dass sie aufsprang und regelrecht davon lief. Sie spürte die verständnislosen Blicke der Mutter in ihrem Rücken. Sie musste jetzt nach Hause. Laura brauchte Gewissheit. Warum nur, dachte sie, kann ich nicht auch ohne ein Kind glücklich sein? Laura rannte ins Bad. Kurz darauf zeigte sich Blut in der Toilette.


© Martina Pfannenschmidt, 2015