Ferdinand flog über die Wiese und landete auf der einen oder anderen
Blüte, um von ihrem Nektar zu trinken. Er war ein Schmetterling, ein
Tagpfauenauge, und liebte diese Grasfläche mit ihren unterschiedlichsten
Blumen.
Eben hatte er Henry getroffen, der ihm davon berichtet hatte, dass es in
der Nähe einen wunderschönen Park gäbe, den er sich unbedingt einmal ansehen
müsse.
Der Morgen verhieß einen wundervollen Sommertag und so machte sich
Ferdinand auf den Weg zum Park. Schon aus der Ferne vernahm er ein lautes Rauschen.
Vorsichtig näherte er sich dem Geräusch und entdeckte einen riesigen
Springbrunnen. So etwas hatte er noch nicht gesehen.
Das Wasser sprudelte aus ihm heraus, wie der Sekt aus einer zu kräftig
geschüttelten Sektflasche, um gleich darauf tosend und brausend im Teich zu
verschwinden. Wunderschön fand er es hier.
Er setzte sich auf die Lehne einer weißen Bank und beobachtete dieses
Schauspiel eine ganze Weile. Einige Wassertropfen stiegen einer Lichtgestalt
gleich in den Himmel empor und schimmerten in der Sonne in allen Farben des
Regenbogens. Schön war es anzusehen und wohltuend für seine Seele.
Bald darauf wurde er magisch von einem so bezaubernden Duft angezogen, dass es ihm schon fast die
Luft zum Atmen nahm. Niemals zuvor hatte er einen so lieblichen Geruch vernommen.
- Und dann sah er sie, die schönste Rose, die er je zu Gesicht bekommen hatte.
Von ihr ging der betörende Duft aus.
Zögerlich flog er in ihre Richtung. Der Schmetterling traute sich kaum
zu atmen, um die Blume in ihrer Anmut nicht zu stören. Sie war noch nicht
vollständig aufgeblüht, doch man konnte bereits ihre spätere Pracht erahnen.
Auf der Rose hatte sich ein kleiner Wassertropfen verfangen und Ferdinand hätte
gern von ihm gekostet, doch er traute sich nicht. Benommen von so viel Grazie
trat er den Rückweg an. Er flog zurück auf seine Wiese, trank vom Nektar der
Blumen – doch seine Seele war nicht bei ihm. Sie war bei der wundervollen Rose
im Park.
Am darauf folgenden Tag hielt ihn nichts mehr. Er wollte nur eines: Zu
der Rose im Park. Vielleicht würde er sie ansprechen. Vielleicht durfte er sie
berühren.
Wie betäubt flog Ferdinand um die Venus herum und bewunderte ihre
Eleganz. Da erst nahm die Rose den Schmetterling wahr.
„Hallo“, sprach sie ihn an, „komm doch näher und lab dich an mir.“
Sanft wie ein Hauch landete der Falter auf der Blume, um sie ja nicht zu
verletzen.
„Ich heiße Dorette“, ließ die Rose ihn wissen, „und wer bist du?“
„Ich? Ich heiße Ferdinand“, stotterte der Schmetterling vor Aufregung
und sein Herz pochte ihm bis zum Hals und seine Seele machte kleine
Freudensprünge.
„Ich werde dich Nante nennen, wenn es dir recht ist“, schlug die Rose vor
und ihre Stimme war so zart, wie die einer Elfe. Ferdinand nickte leicht.
Am Abend flog er wieder heim und er konnte sich nicht erinnern, jemals einen
himmlischeren Tag verlebt zu haben.
Inzwischen hatte Dorette ihre Blüte vollständig geöffnet und viele
erfreuten sich an der formvollendeten Rose. Auch heute war Ferdinand wieder bei
ihr und streichelte sie sanft mit seinen Flügeln, während sich ihnen unerwartet
Schritte näherten. Eine Frau trat zu ihnen und vertrieb Ferdinand von Dorette.
Sie hatte ein Messer in der Hand und trennte die liebliche Rose von ihrer
Wurzel.
„Nein, nicht, bitte nicht!“, hatte Ferdinand noch geschrieen, doch die
Frau hatte ihn nicht gehört. Sie hielt die wunderschöne Rose in ihren Händen und
roch an ihr.
Dicke Tränen traten in Ferdinands Augen und sein Blick fiel auf Dorette,
die ein wenig kraftlos in den Händen der Frau lag.
„Nante“, hauchte die Rose, „du darfst nicht traurig sein. Wir hatten
einen zauberhaften gemeinsamen Sommer, doch jetzt trennen sich unsere Wege.
Meine Zeit hier auf Erden wird in ein paar Tagen beendet sein, doch ich werde
meinen Duft noch so lange verströmen, wie es mir möglich ist und du Nante, du
musst dir eine andere Gefährtin suchen. Mach es gut, mein kleiner Nante, adieu!“
Die Frau trug Dorette mit sich fort und stellte sie in eine Glasvase.
Nach ein paar Tagen neigte die Rose ihr Haupt und verschied. Noch lange
erfüllte ihr Duft den Raum.
Nante war im Park geblieben. Er konnte sich nicht mehr rühren. Es war
ihm, als sei er mitten im Sommer in eine Winterstarre gefallen. Sein ganzer
Körper schmerzte ihn. Niemals würde er Dorette vergessen. Ob sie sich jemals
wieder sehen würden?
Inzwischen war
Ferdinand alt geworden und er merkte, dass es nun auch für ihn Zeit wurde,
diese Welt zu verlassen. Niemals hatte er sich wieder verliebt. Immer hatte es
nur Dorette für ihn gegeben und jetzt -
sie kam auf ihn zu, er hörte ihre Stimme.
„Nante“, sprach sie
leise zu ihm, „komm mit mir. Wir dürfen wieder beisammen sein. Keine Angst, kleiner
Nante, keine Angst.“
Dann tat der
Schmetterling seinen letzten Atemzug und verschied. Doch Dorette war da. Sie
nahm ihn bei der Hand und führte ihn in eine andere Welt. Und dort lebten sie bis
ans Ende der Zeit.
© Martina
Pfannenschmidt, 2014