Unter
einem großen Stein inmitten einer riesigen Grünanlage
wohnte Familie Käfer.
Mama
Käfer rief ihre Rasselbande zusammen: „Sa, So, Mo, Di, Mi und Do, kommt bitte
einmal her zu mir!“ Schon krochen fünf von ihnen unter dem Stein hervor und
gesellten sich zu ihrer Mutter auf die Wiese.
„Wo
steckt denn Mo schon wieder?“, fragte sie harsch. In dem Moment lugte der
kleine Mo ganz vorsichtig mit seinem Köpfchen unter dem Stein hervor.
„Komm
her!“, forderte ihn die Käfermama energisch auf. „Deine Geschwister warten
schon auf dich. Ich möchte euch heute etwas zeigen, was sehr wichtig für euch
ist. Auch für dich, Mo. Nun komm endlich.“
Seine
Mutter hatte so streng gesprochen, dass er sich auf den Weg zu ihr machte, um
sich ihren Unmut nicht noch mehr zuzuziehen. Dabei sah er möglichst unauffällig
in alle Richtungen. Zu groß war seine Angst.
„Meine
lieben Kinder“, begann die Mutter, „ihr müsst wissen, dass wir ganz besonders
intelligente Käfer sind. Die Menschen versuchen schon lange, hinter unser
Geheimnis zu kommen, doch sie haben es noch nicht gelüftet. Hört gut zu, wie
sie uns nennen: Bombardierkäfer. Was sagt ihr jetzt?“
So,
Bombardierkäfer waren sie. Toll! Doch was dies wirklich bedeutete, dass wussten
sie noch nicht.
Dann
sprach Mama Käfer weiter. „Wir beherrschen vermutlich den originellsten Trick
des gesamten Tierreichs“, sagte sie nicht ohne Stolz in der Stimme.
Dann
erhob sie sich, drehte ihr Hinterteil mal nach links, dann wieder nach rechts.
Kurz darauf entwich eine ätzende Flüssigkeit ihrem Hinterleib - begleitet von
einem unüberhörbaren Knall.“
Ihre
Kinder zuckten zusammen. Was ihnen ihre Mutter gerade gezeigt hatte, war
sensationell. Nur Mo fand das Ganze nicht so toll. Er saß wie versteinert da
und zitterte wie Espenlaub. Seine Geschwister jedoch waren Feuer und Flamme und
forderten ihre Mutter auf, sie in das Geheimnis dieser Explosion einzuführen. So
probierten sie die unterschiedlichsten Schusstechniken aus, kicherten, als sie
merkten, dass sie sogar um die Ecke schießen konnten und freuten sich an ihren Erfolgen. Alle, die ihnen nicht wohlgesinnt wären, würden sie mit
diesem ätzenden und sehr heißen Gasgemisch, das sie aus ihren Hinterleibern
katapultieren, verjagen. Alle beherrschten diese Technik sehr bald, nur Mo
nicht. Er hatte es nicht einmal ausprobiert, denn bei jedem Knall, den seine
Geschwister erzeugten, zuckte er zusammen. Niemals würde er auf andere
schießen! Niemals!!!
So
vergingen die Tage. Mo hielt sich immer in der unmittelbaren Nähe seines Steines
auf, um sich schnell wieder darunter verstecken zu können, falls Gefahr drohte.
Er wurde allerdings immer einsamer, denn seine Geschwister entfernten sich weiter
und weiter von ihrem Stein. Sie suchten nach Nahrung und wurden sie von Feinden
angegriffen, so schalteten sie diese
kurzerhand aus. Mo wurde auch immer trauriger, denn wenn seine Geschwister
wieder zurückkamen, prahlten sie mit ihren wagemutigen Taten. Mo musste sich in
diesem Momenten eingestehen, dass er ein Feigling war.
Als
er wieder einmal sehr traurig war, beschloss er, an diesem besonders mutig zu
sein und sich ein wenig mehr vom sicheren Stein zu entfernen, um ausgiebig zu
fressen. Er schlich auf Zehenspitzen, um keinen Feind auf sich aufmerksam zu
machen. Sein Herz klopfte dabei so laut, dass man hätte meinen können, die
ganze Welt hätte es hören müssen. Plötzlich zeigte sich ein Schatten über ihm.
Schlagartig erstarrte Mo und war weder in der Lage, nach vorn, noch nach hinten
zu rennen. Er blieb einfach wie angewurzelt an seinem Platz stehen. Dass, was
den Schatten machte, kam näher und näher. Jetzt hatte seine letzte Stunde
geschlagen. Er wusste es! Wäre er doch bloß unter seinem Stein sitzen geblieben.
Mo schloss die Augen und wartete auf sein Ende. Er wartete und wartete, doch
nichts geschah. Ob er vielleicht schon tot war und gar nichts von seinem Ende
mitbekommen hatte? Vorsichtig öffnete er ein Auge, um es ebenso schnell wieder
zu schließen.
„Hallo,
kleiner Käfer, was ist los mit dir? Du musst keine Angst vor mir haben!“
Noch
einmal öffnete er ein Auge. Das Gesicht eines Kindes war direkt über ihm. Es
war furcht erregend. Aber er lebte noch. Da war er sich ziemlich sicher.
„Was
bist du denn für ein Käfer?“, ertönte es aus dem Mund seines Gegenübers. Sollte
er es wagen, zu antworten? Gaaaaanz leise sprach er: „Ich bin ein
Bombardierkäfer und wer bist du?“
„Ich
bin Luisa“, stellte sich das Mädchen vor.
„Und
ich heiße Mo!“
„Hallo
Mo, was machst du denn hier so alleine?“
Es
war so, als habe Mo nur auf diese Frage gewartet. Er erzählte Luisa von seiner
Traurigkeit, weil er nicht so tapfer sei, wie seine Geschwister und sehr
ängstlich. Das Mädchen hörte sich alles geduldig an.
„Wollen
wir Freunde sein?“, fragte es dann rund heraus. Mo wusste vor Freude nicht, was
er tun sollte. Er drehte und wendete sein Hinterteil und plötzlich schoss wie
bei allen anderen Bombardierkäfern auch eine ätzende Flüssigkeit aus seinem
Hinterleib und traf Luisas Finger.
„Au!“,
schrie sie auf. „Na, du bist mir ja ein toller Freund.“
„Entschuldige
bitte, es tut mir so leid. Ich hatte mir geschworen, niemals diese Flüssigkeit
auszustoßen und jetzt ist es doch passiert. Wirklich, du musst mir glauben, ich
wollte es nicht.“
„Aber
Mo, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Es brennt ein wenig, doch bedenke,
ich bin ein Mensch und kein Frosch, den du getroffen hast. Aber jetzt weißt du
doch, dass du eigentlich keine Angst haben musst, denn du bekamst von der Natur
dieses Geschenk, um dich gegen deine Feinde wehren zu können. Nimm es doch
einfach dankbar an und setz es ein, wenn es nötig ist.“
Ob
das Mädchen Recht hatte?
„Jetzt
muss ich nach Hause, Mo, aber in ein paar Tagen komme ich wieder und dann
erzählst du mir, welche Abenteuer du mit deinen Geschwistern erlebt hast.“
Als
Mo wieder unter seinem Stein saß, dachte er über sich und sein Leben nach und
er erkannte: Nichts zu wagen konnte furchtbar langweilig sein und Angst war der
schlechteste Ratgeber, den man sich denken konnte.
©
Martina Pfannenschmidt, 2015