Freitag, 10. November 2017

Kontaktanzeige

Hannelore stand in ihrem Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank. Was sollte sie nur anziehen? Der Schrank war wirklich bis zum Bersten voll, doch sie konnte sich einfach nicht entscheiden. Wie auch? Dieser Fall war ja völlig neu. Nie zuvor hatte sie auf eine Kontaktanzeige geantwortet, doch ganz nach dem Motto: ‚Einmal ist immer das erste Mal’, hatte sie es diesmal getan. Und nun stand sie hier, war ein bisschen weich in den Knien und wusste nicht weiter. Hätte sie doch bloß nicht … aber sie konnte ja immer noch, wenn sie wollte, einen Rückzieher machen. Aber nein, so ein Angsthase war sie ja nun auch wieder nicht. Was sie begann, zog sie auch durch. Zielsicher schnappte sie sich ihre Lieblingsbluse und eine weiße Hose. Damit konnte sie nichts falsch machen. So war sie weder overdressed, noch das Gegenteil. Das würde schon passen und überhaupt. Seit wann legen Männer Wert auf Kleidung und wenn, würde sie an eine besondere Spezies geraten.
Aufgeregt war sie schon, das musste sie zugeben. Im Amtsschimmel’ wollten sie sich treffen. Das war ein alteingesessenes Gasthaus in der nahe gelegenen Kleinstadt. Einmal war sie bisher dort gewesen, mit ihrer Freundin Gisela. Damals hatten sie ein Schnitzel mit Bratkartoffeln gegessen, die ein bisschen zu salzig gewesen waren. Sie überlegte kurz, wie lange das schon zurück lag, aber das war ja jetzt auch völlig egal, heute ging es ja gar nicht ums Essen. Heute ging es ja um die Liebe oder zumindest um einen netten Herrn, mit dem sie hin und wieder Ausflüge machen oder auf Konzerte gehen wollte. So alleine machte das einfach keine Freude. Sie wollte ja nicht mit ihm zusammen ziehen, nein, das auf gar keinen Fall, sie war ihre Freiheit gewohnt, lebte schon immer alleine, doch jetzt, wo sie Rentnerin war, kam doch das Verlangen in ihr auf, hin und wieder an der Seite eines Mannes durchs Leben zu gehen.
Hannelore trug einen knallroten Lippenstift auf, der exakt die Farbe ihrer Bluse hatte. Sie drehte sich vor dem großen Spiegel hin und her und war recht zufrieden mit dem, was sie dort sah. Sie war ja auch noch nicht alt und runzlig, nein sie war noch recht knackig. Hoffentlich war Er kein Stinkstiefel. So einen konnte sie nicht gebrauchen und einen dicken Bierbauch müsste er auch nicht zwingend haben. Hoffentlich kommt er nicht in kurzer Hose mit Socken und Sandalen, ging es ihr durch den Kopf. Also das ging gar nicht. Dann würde sie gleich Reißaus nehmen.
Sie nahm ihre Handtasche und drehte sich suchend um. Hatte sie etwas vergessen? Nein, sie glaubte nicht. Schnell nahm sie den Autoschlüssel vom Haken und machte sich auf den Weg. Sie liebte Abenteuer und dies schien ihr ein ganz besonderes zu werden.
Bald darauf betrat Hannelore das Lokal. Bisher waren nur wenige Plätze besetzt. Kein einzelner Herr war zu sehen. Im selben Moment fuhr ihr der Schreck in alle Glieder. Sie hatte doch etwas vergessen. Sie sollte doch als Erkennungszeichen eine gelbe Rose in Händen halten. So hatten sie vereinbart. Aber so schlimm war es nun auch wieder nicht. Sie würden schon zueinander finden, wenn es so bestimmt war.
„Haben sie reserviert?“, wurde sie von dem netten Kellner gefragt. „Nein, nein, ich hätte aber gerne einen Tisch für 2 Personen. Der Herr wird wohl gleich kommen“, erwiderte Hannelore.
Der Kellner wies ihr einen Platz zu. Direkt am Fenster. Das war gut. So konnte sie schon vorher sehen, wer sich auf den „Amtsschimmel“ zu bewegte. Wenn ihr gar nicht gefiel, was sie sah, könnte sie ja immer noch durch den Hinterausgang verschwinden.
Hannelore bestellte sich ein Glas Wasser. Wein würde sie erst später trinken – oder auch nicht, je nachdem, wem sie heute begegnete. Ach, irgendwie war das Ganze doch ganz schön aufregend.
Als sie den ersten Schluck nahm, traute sie ihren Augen kaum. Die Schnepfe aus dem Erdgeschoss kam direkt auf das Lokal zu. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Ilse war die größte Tratsche, die sie kannte. Wenn die sie hier mit einem Mann sehen würde, wüsste das spätestens morgen die halbe Nachbarschaft. Aber wenn schon, dann war es halt so. Sie hatte ja nichts zu verbergen.
Ilse betrat den Raum, aber was hielt sie denn da in der Hand? Das war unverkennbar eine rote Rose. Eine rote Rose? Was hatte das denn zu bedeuten?
Hannelore hatte wirklich großes Glück. Ilse schaute nicht in ihre Richtung, sondern nahm an einem Tisch in der anderen Ecke des Raumes Platz. Na, das war ja noch einmal gut gegangen. – Aber die rote Rose wollte Hannelore so ganz und gar nicht aus dem Kopf gehen. Ilse würde doch nicht etwas …
Wieder kam jemand auf das Lokal zu. Diesmal war es ein Mann. Hannelores Herz setzte für einen Moment aus. Sie konnte wirklich jedem, der ein Abenteuer suchte, nur raten, einmal auf eine Kontaktanzeige zu antworten. Das war spannender als jeder Krimi. Der Mann sah recht nett aus. Ja, der könnte ihr gefallen und er trug auch etwas in seiner Hand. War es eine gelbe Rose? Sie konnte es nicht genau erkennen. Als der Mann den Raum betrat, überlegte sie kurz, ob sie die Hand heben und auf sich aufmerksam machen sollte, doch sie zögerte. Im selben Moment ging der Mann zwei Schritte auf sie zu, wendete sich dann jedoch wieder ab. Hannelore war entsetzt. Er würde doch nicht kneifen oder noch schlimmer, sie unattraktiv finden und gleich wieder gehen wollen? Noch immer wusste sie nicht, was sie tun sollte. Auf sich aufmerksam machen oder abwarten? Sie entschied sich für die letztere Variante. Der Mann verließ das Lokal jedoch nicht, sondern ging ein paar Schritte weiter in die andere Richtung der Gaststube und blieb am Tisch von Ilse stehen. Sie erhob sich und er begrüßte sie mit einem Handkuss und überreichte ihr eine rote Rose. Das war ja unfassbar! Ob die Ilse heimlich eine Kontaktanzeige aufgegeben hatte? Bestimmt! Das passte zu der Ilse. Aber sich über andere das Maul zerreißen.
Hannelore griff zu ihrem Handy. Das musste sie Gisela schreiben. Ihre Freundin kannte die Ilse aus der Schulzeit. Gisela würde Augen machen, wenn sie ihr davon erzählte, dass sich die Ilse heimlich mit einem Verehrer traf.
Hannelore legte das Handy zurück in ihre Handtasche. Es war wirklich schade, dass sie die beiden von ihrem Platz aus nicht gut sehen konnte. Zu gerne hätte sie die Situation beobachtet, aber das war ihr einfach nicht möglich. Ob sie sich umsetzen sollte? Aber dann würde Ilse sie ja auch sehen. Obwohl, das wäre ihr eigentlich ganz recht.
Hannelore malte sich in den schillernsten Farben aus, wie peinlich die Situation für Ilse würde, als ein dicker kleiner Mann mit kurzer Hose, weißen Socken und braunen Sandalen auf das Lokal zusteuerte. In der Hand hielt er eine gelbe Rose!


© Martina Pfannenschmidt