Samstagabend,
23.00 Uhr! Lisa lag an diesem lauen Sommerabend mutterseelenallein in ihrem
Bett. Der Mond stand groß und rund am Himmel und schaute durchs Fenster ins
Schlafzimmer hinein.
„Hallo
Mond“, sprach Lisa ihn an, „ich finde es nett, dass du mir Gesellschaft leistest. Ich bin im Moment nämlich solo, musst
du wissen. Der liebe Henrik hat die Flucht vor mir ergriffen, als ich ihm etwas
von Familie und Ring am Finger erzählt habe. Weißt du, immer wieder falle ich
auf diese Typen herein, die an keiner festen Beziehung Interesse haben. Was
meinst du, können wir zwei nicht einen Deal machen? Du bist doch viel näher am
Himmel, als ich. Kannst du den lieben Gott nicht bitten, dass er mir einen Mann
schicken soll, mit dem ich eine Familie gründen kann?“
Der
Mond blieb stumm wie ein Fisch. Zu blöd. Ja, sie war einfach zu blöd, den
richtigen Mann zu finden. Aber heute Abend konnte sie sich keinen mehr backen.
Deshalb drehte sie sich auf die Seite, murmelte noch „Gute Nacht, Mond!“, und
schlief bald darauf ein.
Am
nächsten Morgen stand sie ausgeschlafen und gut gelaunt auf. Sie bereitete sich
ein leckeres Frühstück, das sie auf dem Balkon einnahm. Im Radio lief ihr
Lieblingslied und sie saß im Sonnenschein. Dennoch wurde Lisa etwas
sentimental. Sie hätte gerne diesen Moment mit Henrik geteilt - und schon war
er wieder da, dieser Schmerz, der sich einstellte, wenn sie an ihn dachte.
Da
Lisa jedoch ein durch und durch positiver Mensch war, schaffte sie es, sich
wieder aufzurichten. Das Wetter war viel zu schön, um wie ein Trauerkloß
herumzusitzen. Sie machte sich hübsch, schnappte sich den Autoschlüssel,
öffnete das Dach ihrer alten grünen Ente und fuhr ohne Ziel los. Vorsichtshalber
hatte sie Badesachen im Gepäck. Vielleicht führte sie ihr Weg ja an einem See
vorbei. Die Strecke, die sie wählte, führte sie durch eine grüne Landschaft.
Einfach herrlich! Sie hatte es nicht eilig und auf dieser Nebenstrecke würde
sie andere Autofahrer ganz sicher nicht zu behindern. Irgendwie hatte sie Lust
auf Oldies. Die passten am Besten zu ihrer Stimmung. Schnell war ein
entsprechender Sender gefunden und sie sang lautstark mit.
Michael
hüpfte an diesem Sonntagmorgen gut gelaunt aus dem Bett. Das Wetter entsprach
absolut seiner guten Laune. Nach dem Frühstück würde er sein neues Cabrio zum
ersten Mal offen fahren können. Da er sich gerade von seiner Freundin getrennt
hatte, war der Beifahrersitz frei. Doch das würde sich sicher bald ändern. Das
Auto müsste gut bei den Frauen ankommen.
Als
er das Haus verließ und sich sportlich in sein ebenso sportliches Fahrzeug schwang,
ahnte er noch nicht, dass es bald zu einer schicksalhaften Begegnung mit einer
Ente kommen würde. Entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit fuhr er heute nicht
schnell. Außerdem hörte er Oldies. Die passten weder zu ihm, noch zum Auto,
aber irgendwie zu dieser Landschaft.
‚Meine
Güte, sooooo langsam muss man nun auch wieder nicht fahren’, dachte er, als
eine grüne Ente mit dem Aufkleber ‚Ich bremse auch für Tiere’ vor ihm
auftauchte. ‚Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen’ drang es aus dem Radio
an sein Ohr. Das war lustig, denn vor ihm fuhr tatsächlich ein junges Mädchen.
Ob es hübsch war, konnte er noch nicht erkennen. Er würde mal eine Weile hinter
ihr her fahren.
‚Meine
Güte, warum überholst du mich denn nicht’, dachte Lisa, als sie den jungen Mann
in seinem schicken Cabrio hinter sich herfahren sah. Der Blick in den
Rückspiegel zeigte ihr, dass er ganz und gar ihrem Typ entsprach. Doch im
selben Moment schalt sie sich: ‚Dumme Pute, dass ist doch auch nur wieder so
ein Angeber, der es nicht ernst meint. Nein, nicht noch einmal. Ich werde auf
keinen Fall noch einmal auf einen solchen Mann hereinfallen’, nahm sie sich
vor. Als sie den Blick vom Rückspiegel wieder auf die Straße lenkte, sah sie
eine ganze Familie Weinbergschnecken beim Sonntagsausflug. Sie überquerte genau
in diesem Moment die Straße und deshalb trat Lisa voll auf die Bremse. --- Rumms!
„Sind
Sie von allen guten Geistern verlassen?“, schimpfte der Schnösel aus dem Cabrio
hinter ihr und stand schon an seiner Motorhaube, um sich den Schaden
anzuschauen.
„Es
ist doch gar nichts passiert“, meinte Lisa lapidar. „Die kleine Schramme dort
an der Stoßstange wird wohl nicht so schlimm sein.“
„Nicht
so schlimm sein? Den Schaden ersetzen Sie mir“, wetterte Michael, „der Wagen
ist nagelneu. Wissen Sie, wie viel Geld er mich gekostet hat?“
„Nein,
weiß ich nicht“, erwiderte Lisa schnippisch, „und ehrlich gesagt interessiert
es mich auch nicht. Und dass ich Ihnen den Schaden ersetze, das können sie
sowieso vergessen. Schließlich sind Sie
mir hinten drauf gefahren.“
„Jetzt
auch noch frech werden? Na das hab ich gerne“, schimpfte Michael zurück. „Darf
ich mal fragen, weshalb Sie überhaupt so abrupt gebremst haben, ich kann weit
und breit keinen Grund erkennen!“
In
dem Moment fielen Lisa die Weinbergschnecken wieder ein und sie machte sich auf
die Suche nach ihnen. In der Zwischenzeit waren sie schon einige Zentimeter vorangekommen.
„Schauen Sie nur“, bat sie Michael, „sind das nicht ganz fantastische Wesen?“
Michael
schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Nun sagen sie bitte nicht, dass diese
blöden Schnecken der Grund sind, weshalb Sie gebremst haben?! Es kann doch
nicht wahr sein, dass mein Auto wegen dieser, eine Schleimspur hinterlassenden
Klopse, jetzt eine Schramme hat.“
„Doch“,
triumphierte Lisa, „genau sie sind der Grund für meine Vollbremsung, denn es
handelt sich hierbei um Lebewesen, falls Ihnen das etwas sagt. Verstehen Sie mich?
Diese Tiere leben – noch -, weil ich nämlich gebremst habe. Was ist schon so
ein kleiner Kratzer auf totem Material gegen diese Lebewesen, denen wir heute
gemeinsam das Leben gerettet haben?“ Sprach es, nahm jede einzelne Schnecke von
der Straße auf und setzte sie ins Gras.
Ein
Jahr später sah man einen Mann und eine Frau am Tisch eines Restaurants sitzen.
Nach dem Dessert holte der Mann ein kleines Schächtelchen aus seiner Jackentasche
und legte es neben das Weinglas der Frau.
„Soll
ich es öffnen?“, fragte sie ihn und er nickte.
Darin
befand sich das Gehäuse einer Weinbergschnecke, das der Mann zufällig bei einem
Spaziergang gefunden hatte. Sie nahm es vorsichtig aus der Schachtel. In der
Öffnung steckte ein kleiner Zettel. Den nahm sie heraus und las: ‚Willst du
meine Frau werden?’
©
Martina Pfannenschmidt, 2014