Freitag, 10. November 2017

Schwarzweiß

„Mama, warum weinst du?“, fragte Tabea besorgt, als sie in die Küche stürmte und ihre Mutter mit Tränen in den Augen sah. Doch schnell konnte sie sich die Antwort selbst geben. Mama hatte gerade eine Zwiebel in kleine Würfel geschnitten.
„Was gibt es denn zum Mittagessen?“, war die nächste Frage, die das Mädchen stellte. Doch auch diese musste Mama nicht beantworten, denn schon schaute Tabea in den Topf: „Oh, Nudeln mit Tomatensoße – lecker!“
„Wenn du möchtest, kannst du schon mal den Tisch decken“, schlug Mama vor.
„Nö, keine Lust. Kannst mich ja rufen, wenn du fertig bist.“
Schon war die freche Göre wieder verschwunden.
Mama schmunzelte. Sie war als Kind nicht anders und Arbeiten, die mit dem Haushalt zu tun hatten, gehörten damals auch nicht zu ihren Lieblingsaufgaben.
Bald darauf füllte Tabeas Mutter Nudeln mit Tomatensoße auf Teller.
„Pass auf, dass du nicht wieder kleckerst“, spielte sie dabei auf den Fleck an, den ihre Tochter sich das letzte Mal auf einer weißen Bluse eingefangen hatte. Die Aussage veranlasste das Mädchen, die Augen zu verdrehen. Immer diese Belehrungen. Sollte Mama lieber aufpassen, dass es ihr nicht passierte. Außerdem bestand diesmal sowieso keine Gefahr. Auf ihrem dunkelroten Shirt würde so ein kleiner Tomatensoßen-Klecks doch gar nicht auffallen.
Just als Tabea die letzte Gabel voll mit der leckeren Köstlichkeit in den Mund geschoben hatte, klingelte das Telefon. Sie sprang auf, nuschelte etwas, dass wie ‚ich geh schon’ klang und sprintete in die Richtung, aus der das Klingeln kam.
„Hallo, hier ist Tabea Richter.“
„Und hier ist Opa Hans! Das ist ja schön, dass ich dich gleich am Telefon hab. Pass mal auf, mein Kind, ich habe eine Überraschung für dich. Kannst mal eben rüberkommen. Am besten gehst du gleich zur Pferdekoppel.“
„Mach ich“, erwiderte sie, gab kurz ihrer Mutter Bescheid und lief ein paar Häuser weiter zum Bauernhof ihres Großvaters. Genauer gesagt, schlug sie gleich die Richtung zur Pferdekoppel ein.
„Ich glaub es nicht!“, rief das Mädchen schon von weitem. „Woher kommt das denn?“
„Da staunst du, nichtwahr! Erinnerst du dich an den Zirkus, der hier letztens gastierte? Der Direktor ist schwer erkrankt und muss seinen Zirkus deshalb aufgeben. Jetzt sucht er ein neues Zuhause für seine Tiere und nun hat er mich gefragt, ob ich mir zutrauen würde, sein Zebra aufzunehmen.“
„Das ist ja geil!“
Schon kletterte Tabea mutig über den Zaun, doch Opa hielt sie auf. „Halt, mein Fräulein, so haben wir nicht gewettet. Auch wenn das Zebra an Menschen gewöhnt ist, bleibt es ein Wildtier, das zubeißen kann, wenn es sich bedroht fühlt.“
„Aber doch nicht von mir. Ich will es doch nur streicheln und willkommen heißen hier auf unserer Weide.“
„Ja, ich weiß. Trotzdem, sei bitte vorsichtig.“
Tabea versprach es und Opa ging zurück zum Stall, um seine Arbeiten zu verrichten.
Mist, jetzt hatte sie vergessen, ihren Großvater nach dem Namen des Zebras zu fragen.
„He du“, rief sie deshalb fragend Richtung Zebra, „wie heißt du eigentlich?“
„Pyjama!“
Das Mädchen drehte sich um. Wie jetzt? Wer hatte gerade Pyjama gesagt?
„Ich heiße Pyjama!“
Tabea sah wieder Richtung Zebra, das langsam auf sie zukam.
„Du wolltest doch wissen, wie ich heiße“, meinte es. „Man hat mich wegen meiner Streifen so genannt.“
Tabea lachte laut auf. Sie wusste allerdings nicht so genau, worüber sie eigentlich lachte, über den Namen oder darüber, dass das Zebra mit ihr sprach.
„Und wie heißt du?“, erkundigte sich das Tier.
„Tabea!“
„Das ist ein schöner Name“, erwiderte das Zebra. „Und, wie kommt es, dass du dich hierher zu mir verirrt hast?“
„Der Bauer ist mein Opa. Er hat mich angerufen und gesagt, er habe eine Überraschung für mich.“
„Und ich bin die Überraschung?“, wollte das Zebra wissen und stellte aufgeregt die Ohren auf.
„Ja, genau!“
„Ich war noch nie in meinem Leben eine Überraschung, noch niemals in meinem ganzen Leben.“ Vor Freude drehte es sich einmal um sich selbst und gab dabei eigenartige Geräusche von sich. Tabea hatte niemals zuvor ein Zebra wiehern hören.
„Nachdem ich geboren war“, erzählte Pyjama, „verstarb meine Mama. Kurz darauf wurde ich in den Zirkus verbracht. Ich kam in den Stall zu den Pferden. Es gab ein pechschwarzes Pferd, einen Rappen, und ein weißes, also einen Schimmel. Die beiden waren sehr nett und nahmen mich freundlich auf. Nur die Menschen, die machten sich lustig über mich. Ich hätte mich wohl für keine der beiden Farben entscheiden können, meinten sie und dass ich aussähe wie der Zirkusdirektor in seinem gestreiften Schlafanzug. Schon hatte ich meinen Namen weg.“
„Ich finde deinen Namen lustig“, meinte Tabea und fügte ein Frage an: „Sag, vertragen sich Zebras und Gazellen?“
„Ja klar, weshalb fragst du?“
„Weil Tabea Gazelle bedeutet!“, antwortete das Mädchen.
Das Zebra schüttelte den Kopf und gab dabei noch wundersamere Geräusche von sich.
Ein lachendes Zebra auf Opas Pferdekoppel.
Was ihre Freundinnen wohl dazu sagen würden?

© Martina Pfannenschmidt, 2016