Freitag, 10. November 2017

Sport ist Mord

Maja zog die Bettdecke über ihren Kopf. Es war nicht auszuhalten. Ihr Herzallerliebster lag neben ihr und knirschte mit den Zähnen. Das war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass er wieder einmal zu viel Stress hatte und meinte, er könne das Problem lösen, indem er die Zähne zusammen biss. Vielleicht lag es an seiner Erziehung, dass er selten Emotionen zeigte und diese nachts abbauen wollte, indem er nicht nur im übertragenen Sinn die Zähne zusammen biss, sondern wirklich und wahrhaftig. Morgen früh würde er mit Kopfschmerzen aufstehen und total verspannt sein. Sie kannte das schon.
Eigentlich müssten sie gemeinsam den Stress abzubauen. Am besten dadurch, dass sie sich mehr bewegten. Doch sie hatten ja sowieso schon so wenig Zeit. Es konnte aber genauso gut sein, dass das nur eine Ausrede war, denn Zeit nahm man sich immer für die Dinge, die einem wichtig waren. Sie würde morgen ein intensives Gespräch mit ihrem Mann und  mit ihrem inneren Schweinehund führen müssen.
Ihre Gedanken wanderten weiter. Bis zum nächsten Urlaub war es noch ein Weilchen hin. Deshalb hatten sie auch noch gar nicht darüber gesprochen, wohin die Reise gehen sollte. In jedem Fall müssten sie sich entspannen. Doch Entspannung sah ja für jeden Menschen anders aus. Der eine buchte eine Kajak-Tour, der andere besuchte lieber die Museen dieser Welt und der Dritte schnorchelte mit großer Begeisterung im glasklaren Wasser der Karibik. Aber das war nichts für Maja. Sie mochte das Meer zwar und auch die Wärme, doch am liebsten lag sie in einem Liegestuhl am Pool. Maja konnte es nicht ertragen, zwischen all den glitschigen Fischen herum zu schwimmen. Vielleicht wäre es aber sinnvoll, diesmal einen Urlaub mit ein bisschen mehr körperlicher Aktivität in Betracht zu ziehen. - Bald darauf schlief sie wieder ein und träumte vom Meeresrauschen und bunten Fischen.
Wie erwartet rieb sich ihr Gatte am nächsten Morgen den Kiefer. „Na, mein Schatz, wieder die Zähne zusammen gebissen?“, fragte Maja ihn deshalb – vielleicht ein kleines bisschen zu provokativ.
„Quatsch!“, war seine kurze und mürrische Antwort darauf. Ja, so war er, ihr Willi – ein großer Morgenmuffel vor dem Herrn. Da war es besser zu schweigen und ernste Gespräche auf den Abend zu verlegen.
Maja sah zunächst auf ihre Armbanduhr, anschließend hinaus auf die Straße. Wo blieb ihr Willi nur wieder? Sie wartete seit einer Stunde mit dem Abendessen auf ihn. Im selben Moment bog er in die Einfahrt. Das wurde aber auch Zeit.
Maja hatte einen deftigen Auflauf zubereitet, über den sich beide mit großem Appetit hermachten. Gleich nach dem Essen suchte sie das Gespräch mit ihrem Mann.
„Willi, du hast heute Nacht wieder derart mit den Zähnen geknirscht, dass ich nicht schlafen konnte.“
„Tut mir leid. Ich merke das gar nicht.“
„Das weiß ich ja, aber wir müssen etwas dagegen tun.“
„Ich hole mir gleich morgen einen Termin beim Zahnarzt für eine Zahnschiene“, versprach er.
Das war schon mal eine gute Idee, doch Maja wollte ja auf etwas Anderes hinaus.
„Das ist gut, doch die Schiene hilft leider nicht gegen deinen Stress. Ich schlage vor, dass wir ihn gemeinsam abbauen und das idealerweise an der frischen Luft und mit ein bisschen mehr Bewegung.“
Willi schien wenig begeistert: „Bewegung – du denkst bestimmt ans Joggen. Du, das tut den Gelenken gar nicht gut, hab ich gehört. Die Überbeanspruchung schadet mehr, als das sie nutzt.“
„Das ist doch eine Ausrede, Willi. Wir müssen ja nicht gleich einen Marathon laufen und außerdem können wir auch walken.“
„Walken? Das kommt schon mal gar nicht in Frage. Ich mache mich doch nicht lächerlich und laufe mit Stöcken in den Händen durch die Gegend. Wenn ich das schon sehe“, meinte Willi und untermauerte seine Worte mit einer abwertenden Handbewegung.
„Du, das tun aber viele Tausend andere …“
Bevor Maja weiterreden konnte, fiel Willi ihr ins Wort: „… ich aber nicht!“
„Gut, dann gehen wir schwimmen.“
„Aber ich denke, ich soll an die frische Luft. Die Freibäder sind aber nur in den Sommermonaten geöffnet.“
Das war natürlich ein Argument, das Maja nicht widerlegen konnte. Vielleicht sollten sie die Sache mit der Bewegung doch noch einmal verschieben. Bestimmt machte es auch Sinn, das ganze Unternehmen mit einer Ernährungsumstellung zu verbinden. Diesen Gedanken wollte sie in jedem Fall im Hinterkopf behalten.
Irgendwie überkam Maja ein gutes Gefühl: Jawohl, sie würden sich mehr bewegen und gesünder essen, nur halt noch nicht sofort und jetzt gleich, aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben.
Ganz nach dem Motto: Allein der Gedanke zählt, fühlte sie sich richtig gut, als sie später im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß. Als ihr Mann sich zu ihr gesellen wollte, rief sie ihm zu: „Willi, bringst du bitte die Tüte Chips mit.“


© Martina Pfannenschmidt, 2016