„Hallooo,
Sie sind verbunden mit - dem … Kühlschrank! Ich vertrete momentan den automatischen
Anrufbeantworter. Bitte hinterlassen Sie nach dem Piepton eine Nachricht. Ich
werde diese umgehend auf einem gelben Zettel notieren und an meine Tür heften.
Danke! Piep!“
„Mensch,
Suse, deine Ansage, die nervt einfach nur und wo steckst du überhaupt? Da
könnte ich einmal deine Hilfe gebrauchen und dann kann ich dich
nirgendwo erreichen. Hast du dein Handy vergessen? Ich habe schon 1000 Mal
versucht, dich anzurufen. Melde dich! Es ist dringend!“
Suse
betrat voll bepackt wie ein Esel ihre Wohnung und wuchtete ihre schweren
Einkaufstüten auf den Küchenschrank. Wie so oft purzelte etwas dabei heraus.
Diesmal war es ein Apfel, der auf
den Fußboden klatschte.
Bereits
im Vorbeigehen hatte Suse den Anrufbeantworter blinken sehen. Sie war kurz
versucht, zuerst die Nachrichten abzuhören und erst dann ihre Lebensmittel zu
verstauen, entschied sich dann aber doch anders. Es war schon eigenartig, dass
sie ein komisches Gefühl dabei hatte. Warum konnte sie nicht gelassen abwarten,
was ihr der Anrufbeantworter zu sagen hatte? Irgendetwas machte sie unruhig.
Was, wenn etwas Schlimmes passiert wäre? Entsetzt von ihren eigenen Gedanken
hielt sie es nicht mehr aus. Sie musste wissen, wer aufs Band gesprochen hatte
und vor allen Dingen, was.
„Sie
haben 5 Nachrichten!“, verkündete ihr das Gerät und dann hörte sie fünf Mal die
Stimme ihrer besten Freundin Lissy, die jedes Mal ein bisschen panischer klang.
Durfte
sie jetzt, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, noch ihre Einkäufe
wegräumen oder sollte sie … „Hallo Lissy, ich bin’s, Suse! Was gibt es denn so
Dringendes?“
„Endlich!
Sag mal, wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt. Ich versuche schon seit
Stunden, dich zu erreichen.“
„Ich
war einkaufen!“
„Sooo
lange und dann gehst du nicht mal an dein Handy?“
„Es
war unten in meiner Tasche. Dann habe ich es wohl nicht gehört.“
„Typisch“,
maulte Lissy. „Stell dir mal vor, der Patrick hat vorhin angerufen. Du weißt
doch, dass wir an diesem Wochenende nach Paris fahren wollen. Ich habe doch
schon alles gebucht und jetzt sagt er, er will nicht fahren, weil seine Mutter
im Krankenhaus liegt. Ja, hallo, geht’s noch? Was sagst du denn dazu?“
„Ja,
also, wenn seine Mutter krank ist, kann ich ihn verstehen …“
„Waaas?
Spinnst du? Die macht das doch extra. Ich wette, der fehlt nichts, die gönnt
uns nur diese Reise nicht. Sie mag mich nämlich nicht, musst du wissen, und
eifersüchtig ist sie obendrein. Und dann bin ich bestimmt nicht gut genug für
ihren Sonnenschein von Sohnemann.“
„Ach,
Lissy, reg dich nicht so auf. Und dass glaube ich nicht, was du da vermutest.
Niemand geht freiwillig ins Krankenhaus und auch nicht, um dir eins auszuwischen.“
„Na
super, den Anruf hätte ich mir sparen können. Das hätte ich mir ja gleich denken
können, dass du wieder die Mitleidstour fährst … ‚Dingdongdingdong’ – Bei dir
klingelts.“
„Ja,
habe ich auch gehört“, antwortete Suse ein bisschen genervt. „Du ich ruf dich
später zurück.“
„Ne,
brauchste nich, ich muss gleich sowieso aus dem Haus.“
Für
einen kurzen Moment ärgerte sich Suse darüber, dass es Lissy wieder geschafft
hatte, sie mit einem schlechten Gewissen zurück zu lassen.
Dingdongdingdong!
„Guten
Tag, Frau Schmidt“, wurde sie von Herrn Bessen, ihrem Nachbarn, der mit seinem
Rollator vor ihrer Tür stand, freundlich begrüßt. „Entschuldigen Sie bitte die
Störung. Aber mein Hausarzt war heute bei mir und hat ein Rezept ausgestellt und
nun wollte ich Sie bitten, ob Sie wohl so nett wären und mir das Medikament
noch besorgen könnten.“
Für
einen kurzen Augenblick dachte Suse an ihre Einkäufe.
„Natürlich.
Das mache ich doch gerne, dass ist überhaupt kein Problem. Wissen Sie was, ich
räume nur schnell die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank und dann
fahre ich noch einmal in die Stadt und besorge das Medikament.“
„Das
ist sehr nett von Ihnen. Wissen Sie, mein Herz, das will einfach nicht mehr
so.“
Suse
atmete tief durch. Sie wusste, dass sich Herr Bessen oft einsam fühlte, denn er hatte keine Angehörigen mehr. Er war
wirklich ziemlich alleine auf der Welt. Suse erinnerte sich an ein Gespräch mit
ihrer Freundin. „Eines Tages wirst du schon merken, dass du nur ausgenutzt
wirst“, hatte sie ihr prophezeit. „Sei
doch auch mal eigennützig und nicht
immer nur für andere da. Denk auch mal an dich. Du und dein Helfersyndrom, ihr
kostet mich echt Nerven.“
Vielleicht
hatte Lissy sogar ein bisschen Recht, doch Suse konnte einfach nicht aus ihrer
Haut.
„Wissen
Sie was, Herr Bessen, kommen Sie doch einfach mit in meine Küche, dann kann ich
die Lebensmittel wegräumen und Sie erzählen mir, was der Doktor gesagt hat“,
schlug Suse ihrem Nachbarn vor.
Zu
gerne folgte Herr Bessen dieser Aufforderung. Als Suse ihm später das
Medikament übergeben hatte und wieder in ihrer Wohnung war, fühlte sie sich zwar
ein bisschen erschöpft und auch hungrig, doch sie hatte ein gutes Gefühl. Sie
griff sich den zerdätschten Apfel und biss herzhaft hinein.
Einige
Wochen vollen Aufruhr lagen inzwischen hinter Suse. Trotz eines heftigen
Streits waren Lissy und ihr Freund dann doch noch nach Paris gereist. Aber dann
war da noch der plötzliche Tod ihres Nachbarn, Herrn Bessen, mit dem so gar
nicht zu rechnen war. Durch den Bestatter erfuhr Suse, dass sich der
Verstorbene schon vor Jahren für eine Seebestattung entschieden hatte, der
niemand beiwohnen sollte. Suse kränkte das ein wenig, denn Herr Bessen war ihr
schon ein wenig ans Herz gewachsen in all den Jahren und selbstverständlich
wäre sie zu seiner Beisetzung gegangen. So stieg das Gefühl in ihr hoch, etwas nicht
zu einem guten Abschluss gebracht zu haben, doch es galt, den letzten Wunsch
ihres Nachbarn zu respektieren.
Als
sie an diesem Abend an ihrem Küchentisch saß und den ersten Bissen ihres
Lieblingsauflaufs in den Mund schieben wollte, meldete ihr die Haustürklingel
einen Besucher. Suse sah kurz an sich herunter. Schlabberpulli, Jogginghose und
Mickymaus-Hausschuhe. Ob sie so an die Tür gehen sollte? Aber wer sie so ungebeten
besuchte, der musste mit diesem Outfit vorlieb nehmen. Als sie die Tür öffnete,
wäre sie gerne im Erdboden versunken, denn davor stand ein gut gekleideter
junger Mann. Seinem Grinsen konnte sie entnehmen, dass er ihre Fußbekleidung
bereits entdeckt haben musste.
„Entschuldigen
Sie bitte, dass ich so unangemeldet hier erscheine“, sagte er höflich. „Mein
Name ist Leiter. Benjamin Leiter. Ich kümmere mich um den Nachlass des Herrn
Bessen. Wenn Sie vielleicht einen Augenblick Zeit für mich hätten.“
Suse
dachte kurz an ihren Auflauf, auf den sie sich schon so gefreut hatte, und der
in der Küche auf sie wartete, doch es widersprach ihrer Mentalität, jemanden
wegzuschicken. Deshalb sagte sie: „Klar, kommen Sie nur herein. Möchten Sie
vielleicht etwas mitessen, ich habe einen Auflauf gemacht und in Gesellschaft
isst es sich doch viel netter.“
Im
selben Moment hätte sie sich in den Hintern beißen können. Da lud sie einen
wildfremden Mann zum Essen ein. Wie blöd war sie eigentlich?
„Wissen
Sie was“, antwortete Benjamin Leiter daraufhin, „die Einladung nehme ich sehr
gerne an, denn es duftet hervorragend. Übrigens, bei Herrn Bessen stehen noch
einige Flaschen Wein. Was denken Sie, ob er etwas dagegen hätte, wenn wir
gemeinsam ein Gläschen davon zum Essen trinken?“ Schon wandte er sich zum Gehen
und stand kurz darauf mit einer Flasche Wein in den Händen in Suses Küche.
Sie
erzählten von diesem und jenem, als sich Herr Leiter plötzlich an den
eigentlichen Grund seines Besuches erinnerte. Er nahm ein Schriftstück aus
seiner Tasche und sagte dann dienstbeflissen: „Wissen Sie, Frau Schmidt, Ihr
Nachbar, Herr Bessen, hat ein Testament hinterlassen und darin wurden Sie
erwähnt.“
„Ach
du liebe Güte! Er wird mir doch nicht etwa seine schreckliche Kuckucksuhr
vermacht haben?“, vermutete Suse.
„Nein,
nein, keine Sorge“, lachte Herr Leiter. „Seinen Hausstand hat er einer
wohltätigen Einrichtung vermacht. Es war sein letzter Wille, dass Sie sein
Vermögen erben, das nach Abzug aller Kosten übrig bleibt.“
„Sein
Vermögen? Herr Bessen hatte doch nur eine kleine Rente. Wird das Geld denn überhaupt
für die Bestattungskosten reichen?“
„Ich
denke schon, denn so eine Bestattung ist zwar nicht billig, doch sie kostet auf
keinen Fall hunderttausend Euro!“
©
Martina Pfannenschmidt, 2015