Obwohl
es schon so spät war, war es fast noch taghell in Suses Schlafzimmer. Der Grund
dafür war der Mond. Heute war Vollmond
und der ließ sie oft nicht schlafen. In dieser Nacht könnte es allerdings einen
anderen Grund für ihre Schlaflosigkeit geben und der hieß: Benjamin.
Nicht
im Traum wäre ihr heute Morgen in den Sinn gekommen, am Abend der festen
Überzeugung zu sein, den Mann fürs Leben getroffen zu haben.
Schon
so lange sehnte sie sich nach einem Mann an ihrer Seite. Jetzt, wo sie den
Gedanken beiseite geschoben hatte, einen passenden Partner zu finden, servierte
ihr das Leben ihn auf einem Silbertablett. ‚Du musst deine Wünsche los lassen,
wenn sie sich erfüllen sollen’, hatte ihre Oma immer gesagt. Leider ließ sich
das nicht so einfach umsetzen, wie es sich anhörte.
In
Gedanken ließ Suse ihren Tag Revue passieren. Diese fast unerträgliche Hitze,
die sie zum Brunnen geführt hatte, wo der Zufall ihr dann Benjamin schickte.
Sie sah förmlich den kleinen Engel, der seine Pfeile genau in dem Moment auf sie
Beide abgeschossen hatte, als sie sich erneut begegneten. Sie waren ineinander
verliebt. Hals über Kopf war es passiert und es hatte sie beide getroffen. Wie
eine Grippewelle wurden sie von der Liebe überrollt. Man war ihr einfach
machtlos ausgeliefert, konnte nichts dagegen tun.
Sie
hatten sich noch lange unterhalten und am liebsten wäre sie die ganze Nacht bei
ihm geblieben, um einfach nur zu reden und ihm nahe zu sein. Doch das schickte
sich nicht, zumindest war dies die Meinung ihrer Oma, die ihr außerdem den
guten Rat mit auf den Weg gegeben hatte, ihren Liebsten nicht gleich am ersten
Abend zu küssen. Diesem Wunsch hatte sie allerdings nicht widerstehen können. Aber Oma würde ja nichts davon erfahren.
Bereits nach diesen wenigen Stunden konnte sie sich vorstellen, mit Benjamin das
Wagnis einer Ehe einzugehen.
Die
Liebe, sie war mächtig und etwas ganz Besonderes. Dieses Gefühl, einen anderen
Menschen zu lieben, war mit nichts anderem vergleichbar. Die meisten Kinder waren
aus dieser Liebe heraus entstanden. Die Liebe war der Beginn von allem – der
Anfang und das Ende. Alpha und Omega. Das war ein wunderbarer Gedanke.
Besonders
verführerisch hatte sie bei ihrer
ersten Begegnung wahrlich nicht ausgesehen, dennoch hatte sich Benjamin in sie
verliebt. Der Liebe war es egal, wie der andere gekleidet war. Die Liebe sah
das Herz an.
Suse
schaute auf die Uhr. Es wurde allerhöchste Zeit, zu Bett zu gehen. Der Wecker
und ihr Arbeitsalltag würden keine Rücksicht auf sie nehmen und sie
erbarmungslos daran erinnern, dass es noch etwas anderes als Benjamin und ihre
junge Liebe in ihrem Leben gab.
Mitten
in der Nacht schnellte Suse hoch. Sie war schweißgebadet und musste sich
zunächst einmal klar darüber werden, dass sie nur geträumt hatte. Ihre Oma
hatte mit erhobenem Zeigefinger vor ihr gestanden. ‚Was habe ich dir geraten,
Kind? Du sollst dir Zeit lassen und die Männer prüfen, bevor du sie küsst. Was
ist, wenn Benjamin ein Heiratsschwindler ist, der es nur auf deine Erbschaft
abgesehen hat.’ Ein wahrer Alptraum war das, der einen kleinen Stachel
hinterließ. Was, wenn es wirklich so war? Wenn der Traum sie warnen wollte.
Nein, schalt sie sich, so ist er nicht. Er ist so warmherzig und gutmütig und
sicher hat er es nicht auf mein Geld abgesehen. Suse schlief erneut ein.
Mit einem Koffer voller Geld stand sie am Meer. Majestätisch zog ein Segelschiff
vorüber. Plötzlich drehte der Wind und das Boot kam direkt auf sie zu. Sie nahm
ihre Hand und legte sie schützend über ihre Augen. Sie erkannte den Mann, der
das Segelboot steuerte. Es war Benjamin, der ihr zuwinkte und ihr etwas zurief,
was sie jedoch nicht hören konnte. Je näher er ihr kam, umso mehr schien sie
sich von ihm zu entfernen. Sie wollte zu ihm rennen, doch es gelang ihr nicht. Sie
wünschte sich, bei ihm zu sein, doch die Distanz zwischen ihnen wurde immer
größer. Wieder schrak sie hoch. Was hatten diese Alpträume nur zu bedeuten?
Der Traum war lange vergessen, als sie mit ihrem
Liebsten auf Kreuzfahrt ging. Es war ihre erste Reise mit dem Schiff und es
würde sicher nicht ihre letzte sein.
An diesem strahlend schönen Tag standen sie an
Deck des Schiffes und freuten sich darauf, die Blumeninsel Madeira zu erkunden.
Auf diesen Ausflug freute sich Suse ganz besonders und sie fühlte sich an
diesem Morgen wie die berühmte österreichische Kaiserin Sissi, die ebenfalls die
Schönheit dieser portugiesischen Insel zu schätzen gewusst hatte. Auch wenn das
Essen auf dem Schiff fantastisch war und sie bestimmt schon zwei Kilo zugenommen
hatte, würden sie über den bekannten Bauernmarkt schlendern und frische Mangos und
Feigen kosten. Ein besonderes Erlebnis würde sicher die Fahrt mit dem
Holzschlitten. Durch den Reiseführer wusste Suse, dass man während dieser zwei
Kilometer langen Strecke eine herrliche Aussicht über die Insel genießen
konnte.
„Ich glaube, im Garten Eden kann es nicht viel
schöner sein, als hier“, stellte Suse beim Anblick dieser einzigartigen Insel
mit ihrer vielfältigen Fauna und dem angenehmen Klima fest.
Als sie später durch einen tropischen Garten
spazierten, fühlte sie sich wirklich wie im Paradies. Glücklicher war sie in
ihrem ganzen Leben noch nicht gewesen, wie in diesen Tagen und in diesem Augenblick.
Genau auf diese Stimmung und diesen Moment schien
Benjamin gewartet zu haben: „Suse, ich wollte dich die ganze Zeit über schon
etwas fragen.“
Wenn er ihr jetzt einen Heiratsantrag machte, würde
sie ihn ohne weiter darüber nachzudenken, annehmen.
„Es ist mir ein klein wenig unangenehm“, fuhr er
fort und wirkte dabei etwas bedrückt, „aber weißt du, die Kosten für diesen
Urlaub sind sehr hoch und belasten mich finanziell doch arg. Mein Konto ist
dadurch ziemlich in die roten Zahlen geraten. Deshalb wollte ich dich fragen,
ob es dir etwas ausmachen würde, die Kosten für unsere Reise zu tragen.“
Und damit endete ihre Beziehung zu Benjamin genau
so unerwartet, wie diese Geschichte für den Leser J!!!
© Martina Pfannenschmidt, 2015