Alleine schlenderte Laura über den Jahrmarkt. Es
war gerade einmal eine Woche her, dass Mark sie verlassen hatte. Schon länger
bemerkte sie, dass er immer verschlossener wurde. Er kam später aus dem Büro
nach Hause - der Klassiker. Doch sie verdrängte alle Anzeichen. Dann schrieb er
ihr eine SMS. Er habe sich in die neue Kollegin verliebt, schrieb er. Eine SMS
– nach 4 Jahren.
Als sie abends nach Hause kam, war er bereits
ausgezogen. Auf dem Tisch lag ein Zettel: ‚Sei mir nicht böse. Ich behalte den
Schlüssel noch und hole in den nächsten Tagen meine restlichen Sachen. Mark’.
So ein Feigling. Nicht einmal den Mut, ihr in die
Augen zu sehen, hatte er.
Die ganze Nacht weinte sie in sein Kopfkissen. Und
gerade jetzt war ihre beste Freundin im Urlaub. Dabei hätte sie Jasmin so
dringend gebraucht.
Warum war ihr das passiert? Hatte sie Fehler
gemacht?
„Wäre
Jasmin jetzt hier“, dachte Laura weiter und musste schmunzeln, „dann würde sie
mir jetzt ordentlich den Kopf waschen. Er geht, würde sie sagen, und du suchst
den Fehler bei dir. Bist du noch ganz frisch?“
Jasmin war so herrlich unkompliziert und stets
fröhlich. Sie schaffte es immer, Laura aus einem Tief wieder herauszuholen.
Jetzt musste sie zuerst einmal alleine mit dieser Situation klar kommen.
Laura stellte sich an die Bande des Autoskooters
und beobachtete die verliebten Pärchen. Ihr Herz blutete. Ob sie sich noch
einmal würde verlieben können? Wo war er nur, der Mann, der sie von Herzen
liebte und zu ihr hielt in guten wie in schlechten Zeiten? Sie hatte immer
gehofft, mit Mark den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. Nun wusste sie es
besser.
„Er war es
halt nicht“, würde Jasmin sagen. „Wein dem bloß keine Träne nach, er hat es eh
nicht verdient.“
Ihre Freundin hatte Mark ohnehin nicht sonderlich
gemocht.
Laura schlenderte weiter. Ein Mädchen stand mit
ihren Eltern mitten im Weg. Sie schauten nach oben. Laura folgte ihren Blicken.
Sie sahen einem Luftballon hinterher, der in den Abendhimmel verschwand. Als
Kind hatte sie Luftballons geliebt und sie erinnerte sich daran, dass sie einmal
einen Zettel daran geheftet hatte mit ihrem Namen und ihrer Adresse und der
Bitte, der Finder möge sich doch bei ihr melden. Doch leider fand niemand ihren
Ballon.
Ein paar Meter weiter kam Laura an dem Stand mit
den gasgefüllten Luftballons vorbei. Ihr fiel sofort ein knallroter Herzballon
ins Auge. So kitschig es auch sein mochte: Den wollte sie haben. Zu Hause würde
sie ihn dann fliegen lassen, um sich so symbolisch von Mark zu
verabschieden.
Sie setzte sich an den Küchentisch. Den Luftballon
befestigte sie am Stuhl neben sich. Sie suchte nach einer Karte, die sie an den
Ballon heften wollte. So wie damals. Ihr fiel eine Ansichtskarte ihrer Stadt in
die Hände. Sie schrieb: ‚Gibt es irgendwo auf der Welt einen Mann, der es ernst
mit mir meint? Der mich nicht wegen einer Anderen verlässt? Der liebevoll und
treu ist? Mich liebt, so wie ich bin und immer zu mir steht? Wenn der Zufall es
möchte, dann wirst genau D u diese Karte finden, zu mir kommen und mich
dein ‚Herzblatt’ nennen.’
Dann ging sie auf den Balkon, gab dem Luftballon
die Freiheit und rief ihm hinterher:
„Flieg los und bring mir den Mann meiner Träume“.
Dennis joggte durch den Park, so wie er es an
jedem Abend machte. Zu Hause wartete sowieso niemand auf ihn und die sportliche
Betätigung würde ihm gut tun. So konnte er den Tag am besten verarbeiten.
Er sah das ältere Ehepaar, das er schon des
Öfteren hier getroffen hatte. Manchmal schlenderten sie Händchen haltend
nebeneinander her. Man hatte den Eindruck, sie würden sich gegenseitig Halt geben.
Heute saßen sie dicht nebeneinander auf der Bank und beobachteten die Schwäne
auf dem Teich.
„Ob ich jemals eine Frau finden werde, die zu mir
passt und zu mir steht, bis ins hohe Alter?“, fragte sich Dennis in diesem
Moment.
Er wusste nicht, was es war, doch irgendetwas zog
ihn zu dieser Bank. Die älteren Herrschaften freuten sich über die Abwechslung
und kamen mit ihm ins Gespräch. Sie erzählten, dass sie vor ein paar Wochen
ihre Diamantene Hochzeit gefeiert hätten und sich darüber freuten, dass sie einander
hatten.
„Schauen sie mal, junger Mann“, sagte die ältere
Dame zu Dennis und zeigte hoch zum Baum, unter dem sie saßen. „Dort oben hängt
ein roter Herzluftballon. Den hat bestimmt ein Kind abgeschickt und wartet
jetzt sehnsüchtig auf Antwort.“
Da Dennis sportlich war, kletterte er kurzerhand
auf den Baum und rettete den Luftballon. „Oh“, sagte er, „der hat es aber nicht
weit geschafft. Schauen sie nur. Eine Karte unserer Stadt.“
Dann las er vor, was darauf stand.
„Nein, wie entzückend“, entfuhr es der älteren
Dame. „Das ist ja romantisch. Na, junger Mann, dann müssen sie sich jetzt aber
auf die Suche nach ihrem ‚Herzblatt’ machen.“
Dennis steckte die Karte in seine Hosentasche und
verabschiedete sich.
„Wie romantisch“, hatte die Frau gesagt. Und er
war ein Romantiker. Sein Freund Daniel zog ihn ständig damit auf. Wie um alles
in der Welt sollte er diese Frau finden. Er wusste doch nichts von ihr, außer,
dass sie auch in dieser Stadt lebte. Weshalb hatte sie nicht wenigstens ihren
Namen auf die Karte geschrieben. Dann hätte er eine Chance gehabt, sie zu
finden. Aber so war es aussichtslos.
Am Abend kam sein Freund Daniel zu Besuch. Dennis
erzählte ihm die Geschichte und zeigte die Karte.
„Du bist jetzt aber nicht ernsthaft auf der Suche
nach dieser Frau, oder?“, fragte Daniel Dennis.
„Ich weiß ja, dass es aussichtslos scheint. Aber
versuchen muss ich es wenigstens“, antwortete dieser.
„Und wie, bitteschön, möchtest du das anstellen?“,
entgegnete Daniel.
„Ich könnte eine Anzeige aufgeben und so nach ihr
suchen“, sagte dieser.
„Das meinst du jetzt nicht ernsthaft? ‚Liebes
Herzblatt. Habe heute deine Karte gefunden. Bin unendlich in dich verliebt.
Bitte melde dich umgehend bei mir’.
Und dann nennst du deinen Namen, deine Anschrift,
deine Telefonnummer, deine E-Mail-Adresse und am besten auch noch deine
Handynummer, oder wie stellst du dir das vor“, zog Daniel seinen Freund auf.
„Und du weißt doch gar nicht, ob sie die Richtige
für dich ist. Hör auf damit. Du wirst schon noch eine Frau finden, die zu dir
passt. Aber auf diesem Weg wohl eher nicht“, brachte Daniel seinen Freund auf
den Boden der Tatsachen zurück.
„Aber wenn wir nun füreinander bestimmt sind?“,
warf Dennis noch ein.
Daniel schüttelte nur mit dem Kopf.
Gott sei Dank war Jasmin
inzwischen aus dem Urlaub zurückgekehrt. Sie hatte Laura zur Seite gestanden,
als Mark seine letzten Sachen aus der gemeinsamen Wohnung geholt und ihr den
Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt hatte. An dem Abend flossen noch viele
Tränen, doch inzwischen waren sie getrocknet. Laura war auf gutem Wege, ihr
altes Leben abzustreifen.
„Und dazu gehört in jedem Fall ein
Wohnungswechsel“, hatte Jasmin gemeint. „In dieser Wohnung erinnert dich doch
alles an Mark. Das ist nicht gut. Such dir etwas Neues“.
Das war keine schlechte Idee. Die Wohnung war für
Laura alleine viel zu groß und würde auf Dauer auch zu teuer sein.
Jasmin war früh am Samstagmorgen mit einer Tüte
Brötchen zu Laura gereist. Während des Frühstücks studierten sie die
Samstagsausgabe der Zeitung, um nach einer passenden Wohnung zu suchen.
„Schau mal hier!“, entdeckte Laura eine Anzeige.
„Das hört sich doch gut an: Kleine 2-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoß mit Balkon.
Und die Lage ist ideal. Von dort könnte ich sogar zu Fuß zur Arbeit gehen. Da
rufe ich gleich mal an.“
Zwei Stunden später standen Laura und Jasmin in
der Wohnung. Sie war toll geschnitten und hatte einen großen Süd-Balkon. Auch
der Preis stimmte. Alles war einfach perfekt. Der Vermieter sagte ihnen, dass
sich schon mehrere Personen die Wohnung angesehen hätten, doch wenn Laura sich
sofort entscheiden könnte, dann solle sie die neue Mieterin werden.
Laura musste nicht lange überlegen. Sie sagte
sofort zu.
Auf dem Weg nach unten liefen sie zwei jungen
Männern in die Arme.
„Wohin so
eilig?“, hatte sie der eine gefragt.
Der andere war schüchterner, sagte nichts. Doch
Laura waren sofort seine braunen sehr warmherzigen Augen aufgefallen.
„Wohnt ihr hier?“, fragte Jasmin.
„Ich nicht“, meinte der forsche junge Mann, „aber
mein Freund Dennis, der wohnt hier. Und ihr beiden Hübschen, was verschlägt
euch hierher?“, fragte er weiter.
Laura sagte noch immer nichts und deshalb
antwortete Jasmin: „Meine Freundin Laura hat gerade die Dachgeschoßwohnung
gemietet.“
„Das trifft sich ja gut“, meinte Daniel. „Hast du
noch einen Sekt im Haus, Dennis? Dann können wir mit den beiden Damen auf die
neue Wohnung anstoßen. Was meinst du dazu?“
Doch der hörte ihm gar nicht zu. Er hatte nur
Augen für Laura.
Jasmin und Daniel nahmen die Sache in die Hand.
Die vier gingen in die Wohnung und plauderten miteinander. Auch Laura und
Dennis hatten inzwischen ihre Worte wieder gefunden.
„Ihr müsst euch nur einmal vorstellen“, meinte
Daniel, „was meinem Freund Dennis letztens passiert ist. Ihr müsst wissen, er
ist der einzige romantische Mann der ganzen Stadt. Und ausgerechnet er findet
einen roten Herzluftballon mit einer Karte daran.“
Laura schaute ihn mit offenem Mund an.
„Das kann nicht sein“, sagte sie in die Runde
hinein.
„Doch, wirklich. Du kannst es glauben“, meinte
Daniel.
Dennis stand auf, holte die Ansichtskarte und
begann zu lesen:
„Gibt es
irgendwo auf der Welt einen Mann, der es ernst mit mir meint? Der mich nicht
wegen einer Anderen verlässt? Der liebevoll und treu ist? Mich liebt, so wie
ich bin und immer zu mir steht? Wenn der Zufall es möchte …“
Weiter kam er nicht, denn an dieser Stelle sprach
Laura weiter: „… dann wirst genau D
u diese Karte finden und zu mir kommen
und mich dein ‚Herzblatt’ nennen“.
Nun saßen die anderen mit offenem Mund am Tisch.
Keiner konnte glauben, was gerade geschehen war.
Das Leben nennt es ‚Schicksal’.
© Martina
Pfannenschmidt, 2014