Mama
nahm Luisa in den Arm: „Alles Liebe zu deinem Geburtstag und ganz viel Glück im neuen Lebensjahr!“
„Danke,
Mama! Aber jetzt komm erst einmal herein. Es ist heute ziemlich kalt.“
„Wie
so oft an diesem Tag“, erwiderte Mama.
„Stimmt!“
Luisa
nahm ihrer Mutter den Mantel ab und freute sich über das Geschenk und den
schönen Blumenstrauß, den ihre Mutter ihr übergab. Beide gingen anschließend in
die Küche, wo es schon so herrlich nach Kaffee duftete. Doch zunächst packte
Luisa das Päckchen aus. Wie gewünscht bekam sie selbst gestrickte Socken.
Darauf lagen zwei Konzertkarten, über die sie sich sehr freute.
Als
die beiden Frauen später bei Kaffee und Kuchen beisammen saßen, gingen ihre
Gedanken zurück in Luisas Kindheit.
„Weißt
du, Mami, eigentlich ist es blöd, jetzt Geburtstag zu haben. Doch du hast immer
einen besonderen Tag für mich daraus gemacht. Ich hatte nie das Gefühl, weniger
Geschenke zu bekommen, als andere Kinder oder meine Geschwister, auch wenn mein
Geburtstag so dicht vor Weihnachten liegt. Und weißt du noch, dass du mir in
der kalten Jahreszeit immer viel vorgelesen hast. Am liebsten mochte ich
Märchen.“
„Wie
könnte ich das jemals vergessen!“
Luisa
senkte ihre Stimme, als sie weiter sprach: „Ein Mann ging an einem kalten
Wintermorgen bei dichtem Schneetreiben
in den Wald, um Holz zu hacken. Wenig später stand er staunend vor einem verwunschenen
Schloss, auf das er mit verklärtem
Blick schaute.“ Luisa brach in lautes Gelächter aus. „Ich glaube, ich habe kein
Talent dafür, Märchen zu erzählen.“
„Das
macht nichts“, meinte Mama und lachte auch. „Dafür liegen deine Talente auf
einem anderen Gebiet. Beim Kuchen backen zum Beispiel. Dieser hier ist einfach
köstlich.“ Schon schob Mama sich wieder ein Stückchen davon in den Mund.
„Weihnachten
bringe ich in jedem Fall Kekse mit“, kündigte Luisa an. „Irgendwie bin ich in
diesem Jahr im Back- und Vorweihnachtsfieber. Ich freue mich riesig, dass wir
alle zusammen kommen, so wie früher.“
„Wie
früher?!“, wiederholte Mama. „Erinnerst du dich, früher hattet ihr alle einen
Adventskalender mit Schokoladenstückchen darin und obwohl ihr wusstet, dass es
am folgenden Tag wieder so sein würde, habt ihr euch trotzdem darüber gefreut.
Schließlich gab es auch an jedem Tag ein neues Bildchen hinter der
verschlossenen Tür.“
„Ich
ahne, worauf die hinaus willst. Heute muss es mindestens einer sein, der 24 kleine
Geschenke enthält.“
„Genau.
Die täglichen Gaben sind doch oftmals schon wie kleine Weihnachtsgeschenke.“
„Ja,
das stimmt wohl. Auch die Beleuchtung war früher viel minimalistischer, als
heute – und vor allen Dingen: Es krochen keine Plastikweihnachtsmänner die
Fallrohre hinauf.“
„Und
wenn ich daran denke, wie ich euch früher zum Schlittschuhlaufen geschickt
habe, bekomme ich noch heute ein ganz schlechtes Gewissen. Kein Knie- und
Armschutz, keinen Helm.“
„Passiert
ist aber nie etwas.“
„Zum
Glück“, entgegnete Mama. „Erinnerst du dich auch noch an den Nikolaustag, an
das Poltern und Klopfen. Du hast dich immer so gefürchtet. Doch wenn ich dir sagte,
dass der Nikolaus da war, um etwas in deine Schuhe zu stecken, bist so schnell
zum Fenster gerannt. Schließlich wolltest du noch einen Blick auf ihn
erhaschen.“
„Klar,
erinnere ich mich und ganz besonders an die Bescherung am Heiligabend. Wir
saßen mit dir zusammen in der Küche. Das Papa nie dabei war, ist mir damals gar
nicht aufgefallen.“
„Und
irgendwann klingelte das Glöckchen und wir gingen gemeinsam ins Wohnzimmer.“
„Ja,
genau, aber vergiss nicht: Zuerst musste ich auf der Blockflöte
Weihnachtslieder spielen. Erst dann durften wir zu den Geschenken.“
„Ja,
die Geschenke. Sie fielen halt nicht so üppig aus, wie heute. Ich hatte immer
einen neuen Pulli für euch gestrickt und Oma steuerte selbst gestrickte Socken
bei, die du ja heute noch liebst.“
„Aber
es gab auch immer Spielsachen für uns.“
„Ja,
das stimmt. Damit habt ihr dann in den folgenden Tagen ununterbrochen
gespielt.“
„Mama?“
„Ja.“
„Warum
ist die Freude am Weihnachtsfest eigentlich verloren gegangen, obwohl es
überall glitzert und leuchtet?“
„Keine
Ahnung! Vielleicht, weil wir die Weihnachtslieder heute von den Stars singen
lassen, anstatt sie selbst anzustimmen? Oder weil es Weihnachten für Schal und
Mütze oft viel zu warm ist und es nur noch ganz selten weiße Weihnachten gibt?
Ich kann es dir nicht beantworten.“
„Vielleicht
liegt es auch daran, dass viele Menschen Weihnachten heute als stressig
empfinden. Schon Anfang Dezember jammern sie, weil sie nicht wissen, wie sie das
alles schaffen sollen und vor allen Dingen, womit sie eine Freude beim Schenken
bereiten können.“
„Und
die Geschäfte sind nach Weihnachten voller, als sie an den Tagen davor waren,
weil so vieles umgetauscht wird. Kein Wunder, dass fast nur noch Gutscheine
verschenkt werden.“
„Schade
eigentlich, dass viele Kinder nicht mehr so aufwachsen, wie wir es kennen
gelernt haben und wer spielt Weihnachten noch Blockflöte oder singt Lieder?“
„Weißt
du was? Wollen wir es in diesem Jahr nicht so machen, wie früher?“
„Du
meinst, ich soll vor der Bescherung Blockflöte spielen?“
„Ja,
das wäre doch toll und eine echte Überraschung für alle.“
„Aber
dann muss Papa auch vorher das Glöckchen läuten und vor allen Dingen: Ich muss
noch jede Menge üben und soviel Zeit bleibt mir dazu gar nicht mehr.“
„Na,
worauf wartest du noch, hol sie her, deine alte Blockflöte und dann wird geübt“,
frohlockte Mama.
Luisa
sprang auf, um ihr altes Musikinstrument zu holen. Dabei schmetterte sie voller
Vorfreude: „In dulci jubilohoho, nun singet und seid frohhoho!“
©
Martina Pfannenschmidt, 2016