„Was meinst
du, Omi“, fiel Kathrin sogleich mit der Tür ins Haus, „wen ich eben beim
Einkaufen getroffen habe?“
„Soll ich es
erraten oder willst du es mir erzählen?“
„Ich verrate
es lieber gleich, du wirst sowieso nicht darauf kommen. Wir haben Tobias
getroffen. Du weißt doch, den Tobias der weggezogen ist. Seine Eltern haben ihn
heute zu seiner Oma gebracht und jetzt bleibt er eine Woche. Wir haben uns
gleich für morgen im Freibad verabredet. Ist das nicht ein großer Zufall, dass
wir uns dort begegnet sind?“, fragte Kathrin und freute sich riesig über das
unvorhersehbare Zusammentreffen.
„Ich freue
mich für dich. Sicher werdet ihr ein paar schöne Ferientage miteinander
verbringen können. Das ist wirklich toll.“
„Ich kann es
noch gar nicht fassen, dass wir uns gerade dort getroffen haben“.
„Weißt du
Kathrin, solche Fügungen wird es in deinem Leben noch oft geben.“
„Fügungen?
Was bedeutet das?“
„In meinen
Augen ist es nur ein anderes Wort für Zufall. Schau es dir einmal genauer an,
dieses Wort“, bat Oma und sprach es noch einmal sehr deutlich aus und so, als
seien es zwei Wörter, „Z u und F a l l ! Es fällt uns also etwas zu. Doch woher
fällt es uns zu, hast du eine Idee?“
„Nee, keine
Ahnung!“
„Es gibt einen
sehr schönen Spruch von Anatole France: ‚Der Zufall ist Gottes Deckname, dann,
wenn er sich nicht zu erkennen geben will’!“
„Also ehrlich
Omi, ich verstehe es nicht. Du sprichst in Rätseln.“
„Pass auf: Es
kam zu dieser Begegnung, will uns dieser Spruch sagen, weil Gott dahinter
steckt. Er hat für dieses Zusammentreffen gesorgt.“.
„Ui! Meinst
du wirklich?“
„Ja, das
denke ich. Schau dir nur einmal alle Ehepaare dieser Welt an. Denkst du, sie haben
sich alle zufällig irgendwo getroffen, um für immer zusammen zu bleiben? Und später bekommen sie ganz zufällig Kinder, die
natürlich auch aus lauter Zufall geboren werden? Niemals glaube ich das. Da
wird schon eine höhere Macht dahinter stecken und zwei Menschen zusammen
führen. Vielleicht sogar, damit genau dieses Kind oder diese Kinder geboren
werden können.“
Darüber hatte
Kathrin noch nie nachgedacht.
„Schau mal“,
fügte Oma noch an, „ich habe dir doch erzählt, wie dein Opa Walter und ich uns
damals auf dem Jahrmarkt wieder getroffen haben. Das war auch kein ‚Zufall’
oder eben doch, nämlich in dem Sinne, dass es uns als Gabe Gottes zugefallen
ist, uns dort zu begegnen.“
Oma sah es
Kathrins Nasenspitze an: Sie war noch nicht so ganz überzeugt von dem, was sie
ihr zu erklären versuchte. Deshalb fragte sie: „Soll ich dir noch so eine
Zufallsgeschichte erzählen?“
Die wollte
Kathrin gerne hören.
„Also das war
so. Ein hübsches junges Mädchen machte mit seiner Freundin einen Tanzkurs. Dort
waren genau so viele Jungen wie Mädel, so dass jeder einen Tanzpartner bekam.
Das junge Fräulein, von dem ich erzähle, sah dort einen jungen Mann und
verliebte sich in ihn. Die Beiden tanzten oft zusammen. So
besonders gut klappte dies allerdings nicht. Der Junge war kein guter Tänzer.
Doch das war dem Mädchen egal. Hauptsache, es konnte in seiner Nähe sein. Der
Abschlusstag kam näher. Die jungen Menschen waren alle aufgeregt und hatten
sich besonders schick gemacht. Die Eltern waren eingeladen, um zu sehen, ob aus
ihren Kindern gute Tänzer geworden waren. Also traf sich an diesem Samstagabend
eine elegante Gesellschaft zum Ball. Die junge Dame sah sich
überall suchend um. Den jungen Mann in den sie verliebt war und mit dem sie den
Eröffnungstanz machen wollte, konnte sie aber nicht finden. Plötzlich kam der
Tanzlehrer zu ihr und sagte, dass ihr Tanzpartner mit einem Beinbruch im
Krankenhaus läge. Für das Mädchen brach eine Welt zusammen und es war sogleich
in Tränen aufgelöst. Der Tanzlehrer und auch die Eltern versuchten zu trösten. Das Mädel hatte sich doch so auf diesen
Abend und den jungen Mann gefreut.“
„Omi“,
unterbrach Kathrin ihre Großmutter vorwurfsvoll, „es ist bis jetzt in deiner
Geschichte noch kein einziger Zufall vorgekommen.“
„Nein, bis
jetzt noch nicht. Aber warte es ab. Nachdem das Mädchen
sich etwas beruhigt hatte erklärte der
Tanzlehrer, dass er sich natürlich sofort um einen Ersatz bemüht habe. In einer
anderen Gruppe gäbe es einen ganz tollen Tänzer und der würde gleich
einspringen.“
„Und dieser
Ersatzmann“, unterbrach Kathrin ihre Oma schon wieder, „war der jetzt der Zufall?“
„Ja, meine
liebe Kathrin. Dieser Ersatzmann war nicht nur ‚der Zufall’, sondern ein
Glücksfall! Das Mädchen fand ihn sofort sympathisch und so hatte es den anderen Jungen
recht schnell vergessen. Dieser Ersatzmann sah nicht nur hervorragend aus, er
konnte sogar noch viiieeel besser tanzen! Die junge Dame war ganz begeistert
und sofort frisch verliebt.“
„Omi, du hast
mir die ganze Zeit noch nicht verraten, von wem du erzählst. Das will ich jetzt
aber auch noch wissen. Oder kenne ich die Beiden etwa gar nicht?“
„Oh doch, du kennst
sie. Ziemlich gut sogar. Sie wurden ein Paar, heirateten einige Jahre später
und bekamen eine süße kleine Tochter und die nannten sie … willst du es erraten
oder soll ich es dir sagen?“
„Omi, du
sollst es endlich sagen.“
„Sie bekamen
eine süße kleine Tochter“, wiederholte Oma, um ihre Enkelin noch ein bisschen
auf die Folter zu spannen, „und nannten sie … Kathrin.“
„Mama und
Papa?“
„Ja, deine
Eltern haben sich so kennen gelernt. Und wenn dieses Zusammentreffen nun ‚nur’
ein Zufall und keine Fügung war, wäre ihre Liebe ein Zufall und du auch. Glaube
mir, mein Kind, so viele Zufälle kann es gar nicht geben, da steckt schon mehr
dahinter.“
„Oh man Omi,
überleg mal, was Gott alles organisieren muss damit wir Menschen uns alle zufällig
treffen“.
„Wo du recht
hast, hast du recht“, antwortete Oma, "doch er hat ja seine Helfer die wir
Engel nennen, aber das ist wieder eine andere Geschichte."
© Martina
Pfannenschmidt, 2015